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Das Buch für 'Alle

Schwester den einfachen Kleiderwechsel gleich hier vornehmen
könne.
Die Pflegerin liest merkwürdig lange auf sich warten, und als
sie endlich erschien, ruhig und lächelnd wie immer, war Frau
Edith schon zur Ausfahrt bereit.
„Nun?" fragte Eva. „Ist der Wagen bestellt?"
„Ich habe den Auftrag weiter gegeben," lautete die sanfte
Erwiderung. „Etwas anderes vermochte ich nicht zu tun."
„Das genügt ja auch. Ich danke Ihnen, Schwester! Nun aber
must ich selber mich rasch noch ein wenig umziehen. Denn du
gestattest doch, Liebste, daß ich dich auf deiner Fahrt begleite?"
„Ohne dich würde ich
nicht fahren. Last mich
nur, bitte, nicht zu lange
warten."
Eva ging hinaus. Vor
der Tür traf sie Paul
Uhtoff, der augenschein¬
lich mit Schwester Beate
gekommen war, aber of¬
fenbar nicht den Mut ge¬
habt hatte, ihr ohne wei¬
teres in das Zimmer sei¬
ner Frau zu folgen.
„Was bedeutet das,
Eva?" fragte er sichtlich
erregt. „Edith will eine
Ausfahrt machen, und die
Pflegerin sagt, du hättest
sie in diesem unsinnigen
Vorhaben bestärkt."
„Gewiß! Warum sollte
ich das nicht tun? Es ist
doch nur ein harmloser
Wunsch. Und wir sollten
uns darüber freuen, daß
die arme Edith endlich
wieder Teilnahme an der
Welt bekundet."
Uhtoffkniff die Lippen
zusammen und sah an sei¬
ner Schwägerin vorbei.
Nach einer Weile er¬
widerte er: „Ich glaube
nicht, dast der Arzt damit
einverstanden seinwürde."
„So können wir ja tele¬
phonisch bei ihm anfra¬
gen. Last uns ins Wohn¬
zimmer hinüber gehen,es
auf der Stelle zu tun."
Er folgte ihr. Der Kampf um die Beule.
Als sie an den Apparat
treten wollte, hielt er sie zurück. „Ich bitte dich, ersparen wir
uns das! Es ist ja doch nicht der Arzt, der hier das entscheidende
Wort zu sprechen hat. Ich wünsche nicht, daß meine Frau sich
öffentlich zeigt — auch dann nicht, wenn sie selber keinen Scha-
den davon hätte."
Eva sah ihn verständnislos an. Ein kleines, feines Fältchen er-
schien zwischen ihren Brauen.
„Dann hätte meine Schwester also recht mit ihrer Vermutung,
daß sie hier gewissermaßen als Gefangene behandelt werden soll?"
„Sagte sie so? Davon ist nicht die Rede. — Weshalb aber soll
man drausten anfangen, sich mit ihrer Person zu beschäftigen?
Man hält sie für leidend, weist, dast sie seit langem keine Be-
suche mehr empfängt, und hat sie infolgedessen wahrscheinlich
halb und halb vergessen. Wenn man sie jetzt sieht — und man
wird sie gewiß sehen, denn sie hat so viele Bekannte aus ver-
gangenen Tagen —, dann wird sich die allgemeine Neugier ihrer
bemächtigen und ich werde von taktlosen Menschen mit neu-
4. isse.

gierigen Fragen belästigt werden — und du kannst dir denken,
daß mir, dast ich ..."
Er stotterte und verstummte unter dem erstaunten Blick der
großen, klaren Müdchenaugen, die unverwandt auf sein Gesicht
gerichtet waren. Dann fragte sie tiefernst: „Also nur, um lästigen
Fragen zu entgehen, willst du deiner Frau die Erfüllung eines
Wunsches versagen, an dem ihr so viel gelegen ist? Das ist für
mich ein unerwartetes und schmerzliches Bekenntnis, Paul."
Er hörte den tiefen Unwillen im Klang ihrer Stimme, und die
Vorstellung, sich von einer unvorteilhaften Seite gezeigt zu haben,
siegte überraschend schnell über seine ausgesprochenen und un-
ausgesprochenen Beden-
ken. Fast ängstlich suchte
erden schlechten Eindruck
wieder zu verwischen.
„Du mißverstehst mich.
Es war ein ungeschicktes
Wort. Ich denke selbst-
verständlich nicht so sehr
an mich als an Edith.
Könnte sie nicht unter-
wegs einen ihrer Anfälle
erleiden?"
„Es würde sicher dazu
kommen, wenn man ihr
die Ausfahrt jetzt versagen
wollte. Und ich werde nicht
zugeben, daß es geschieht.
Selbst auf die Gefahr hin,
dast du mir deshalb zürnst.
Meinetwegen magst dir
mich nachher aus deinem
Haus weisen; zuvor aber
werde ich mein Wort ein-
lösen, das ich Edith ge-
geben habe."
Wie in heftigem Er-
schrecken griff Uhtoff nach
ihrer Hand.
„Was fällt dir ein, Eva?
Wie kannst du meine Be-
sorgnis so tragisch neh-
men? Davon, daß du
Edith die Spazierfahrt
bestimmt zugesagt hast,
wußte ich ja nichts. Dann
ist selbstverständlich nicht
weiter darüber zu reden.
Ich werde den Wagen
durch den Fernsprecher
sofort bestellen. Schwe-
ster Beate aber werdet ihr
doch wohl mitnehmen?"
„Der Vorsicht halber dürfte es unvermeidlich sein, obwohl ich
nicht mehr so sicher bin wie bisher, dast Edith ihre ständige Gesell-
schaft immer als wohltätig empfindet."
„Es täte mir leid, wenn du dich gegen sie einnehmen ließest.
Sie ist eine vortreffliche Pflegerin, zuverlässig und gewissenhaft
wie kaum eine andere. Ich fand Gelegenheit, sie in ihrem Wirken
zu beobachten, als ich während des Krieges einige Zeit in einem
Lazarett lag, und ich war glücklich, als es sich zufällig schickte, sie
für meine arme Frau zu gewinnen. Ich wäre aufrichtig be-
trübt, wenn sie sich irgendwie dein Mißfallen zugezogen haben
sollte."
„Das ist nicht der Fall, und es ist ganz unnötig, dast du dich
ihrer mit solcher Wärme annimmst. Allerdings — wenn ich die
Gewißheit erhielte, daß Edith durch sie leidet, dann müßte ich
mich offen aussprechen. Auch du wirst ihr ja keine Pflegerin
auf-wingen wollen, gegen die sie sich innerlich auflehnt."
„Gewiß nicht — obwohl — aber darüber können wir ja ein


Nach einem Gemälde von Otto Sinding.
 
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