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Heft 4

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Das Buch f ü r 2l l l e

und schwerfällig scheinende Lotse von dem kleinen Boot aus sich auf das
große Schiff schwingt, und mit welcher Geschicklichkeit die Bootsmannschaft
ihr Fahrzeug vor dem Zerschellen an der Bordwand zu behüten versteht.
An Bord gelangt, übernimmt der Lotse die Befehlsgewalt über das
Schiff. Seinen Anordnungen ist unbedingt Folge zu leisten, und dem
Kapitän bleibt es nur vorbehalten, darauf zu achten, daß die Kommandos
des Lotsen richtig befolgt werden. Das ist nicht immer so einfach, denn
der Lotse spricht Plattdeutsch und die Besatzung vielleicht Englisch, Fran-
zösisch oder Spanisch. Aber es geht, denn der Seemann von großer Fahrt
hat in einer Art Englisch, das freilich in London oder Birmingham nicht
gesprochen wird, sich eine internationale Umgangsprache geschaffen, die
auf allen Ozeanen verstanden wird.
Der Lotse muß nach den gesetzlichen Bestimmungen zur Ausübung seines

das Rückgrat gegen des Schicksals Ungunst, und er empfand das
Rebellieren seines Magens weniger peinlich.
In solcher Verfassung wanderte er eines Tages aus seinem in
der inneren Stadt gelegenen Büro über die Ringstraße heim.
Vor dem Hotel „Imperial", einer bekannten Gaststätte für
valutagesegnete Ausländer, verlor Alois Pracherl seine künstlich
erzwungene Haltung; das sorgenschwere Haupt sank allmählich
tiefer und tiefer, und seine zerstreuten Blicke schweiften mit
leerem, hoffnungslosem Ausdruck über den Boden. In diesem
Augenblick aber fiel es der Göttin Fortuna ein, dem armen Pracherl
eine große Überraschung zu bereiten. Fast wäre er mit dem Fuß
an ein unscheinbares, kleines Päckchen gestoßen, das auf dem Geh-

Gaukler im allen Rom. Nach einem Gemälde von A. Seifoni.


Berufs die Schifferprüfung abgelegt haben und genaue Kenntnisse des
Seegebietes, für das er bestimmt ist, nachweisen. Meistens sind daher die
Lotsen an so wichtigen Plätzen, wie der Elbemündung, alte tüchtige See-
leute, die aus langjähriger Erfahrung zu den besten ihres Berufs gehören.
Darum erfreuen sie sich an Bord auch besonderer Hochachtung. Kapitän
und Mannschaft begrüßen den Lotsen herzlich, wissen sie doch alle, daß
in Stunden der Not ihm ihr Gut und Leben anvertraut ist.
Alois Pracherls Millionen
Von Rolf Elmar
lois Pracherl gehörte bis vor kurzem dem Mittelstände an,
jener Wiener Bevölkerungsgruppe, die heute völlig mittel-
los ist. Wie man sagt, besaß er zum Leben zu wenig und zu
viel zum Sterben, und so verbrachte er ein kümmerliches Dasein
zwischen Verhungern und Vegetieren. Und wenn ihm der Hunger
empfindlich zusetzte, schnallte er sich den Leibriemen enger und
gab seinem Oberkörper einen kräftigen Ruck; dadurch straffte sich

steig lag. Trotzdem es keinen besondern Eindruck machte, hob er-
es auf, schaute vorsichtig nach allen Seiten um, ob ihn jemand dabei
beobachtet hatte, eilte rasch weiter und wagte erst in einer Seiten-
gasse einen dunklen Hausgang zu betreten und dort vorsichtig das
Päckchen zu öffnen. Mit zitternden Händen stand er da, und auch
die Knie wankten ihm ein wenig. Nun hätte einer kommen und
ihm sagen sollen, das Geld lüge nicht auf der Straße! Rasch
zählte er die Scheine. Wahrhaftig, es waren zwanzig Tausend-
dollarscheine. Keiner mehr und keiner weniger.
Nachdem Alois Pracherl den ersten freudigen Schreck über-
wunden hatte, zog er rasch einen Vergleich zwischen amerikanischer
und heimischer Währung. Und das Herz hörte vor Überraschung
fast auf, zu schlagen. Seine Lippen bebten, als er fast lautlos vor
sich hin murmelte: „Zwanzig Millionen österreichische Kronen".
Zwanzig Millionen Kronen! Nein, das war ja gar nicht recht
auszudenken!
Zwanzig Scheine; gar nicht viel bedrucktes Papier, und eine
so ungeheure Summe! Und doch stimmte die Rechnung. Mit
 
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