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Hcft i? Illustrierte Familicnzcitung >922

Die Stimme des Blutes
Roman von Georg Julius Petersen / (Fortsetzung)
ch soll zu Tante Luise?" Ein entschieden ablehnender Aus-
druck trat in Lisas Antlitz.
„Du sollst nicht, mein Kind; niemand kann dich dazu
zwingen. Aber ich bin überzeugt, daß Forster es herzlich
gut mit dir meint, und auch ich möchte dir anheimgeben, den
Vorschlag nicht ganz von der Hand zu weisen."
Sie sah dankbar zu ihm auf. Stammers wurde unter diesem
Blick warm ums Herz; es war ihm, als habe sein verstorbener
Schwager ihm in die Augen gesehen, und einem starken Gefühl

nachgebend, beugte er sich Zu seiner Nichte herab. „Möchtest du
denn vorläufig noch hier bleiben?" fragte er herzlich.
„Ja, Onkel." Und sie fügte auch gleich einen triftigen Grund
hinzu: „Hilde ist meine liebste Freundin."
Stammers wollte schon sagen: „Die drei Mädchen der Tante
Luise sind dir weiß Gott doch auch nicht fremd," schwieg aber
lieber. Er berührte das Thema Brunner nicht gern, und jene
drei Mädchen hießen doch so. Sie gehörten dem ältesten Träger
dieses Namens, demselben, der seinerzeit die Geschäftsnachfolge
des alten Ferdinand Heinrich Brunner abgelehnt hatte und nun
als Geheimer Regierungsrat in der Provinzialhauptstadt lebte.
„Du weißt, ich freue mich über deinen Entschluß, Lisa, und auch
Tante hat dich gern, wenn sie auch manchmal streng mit dir ist.


Mussuks, aufgeblasene Tierhäute, am Beasfluß im nördlichen Vorderindien.


alten Orient, bei den Völkern der Euphrat- und Tigrisländer, und
^)auch irn fernen Osten benützte man aufgeblasene Lederschläuche aus den
Häuten von Rindern und Hämmeln, um Flüsse und Ströme damit zu
überqueren oder weite Strecken darauf zurückzulegen. Brücken oder Fähren
werden in jenen Gegenden nicht so häufig angetroffen. Die auf obigem Bild
sichtbare Auslegerbrücke ist neueren Datums, wie schon die eisernen Bänder
und Schrauben verraten, die aus einer europäischen Fabrik stammen. Da
sie unvollständig ist, ist auch hier das einzig mögliche Verkehrsmittel die
Tierhaut. Auf eine größere Zahl solcher Schläuche legte man Balken, und
auf diesen eigenartigen Flößen wurden schwere Lasten über Wasser gebracht.
Nach Jahrtausenden bedient man sich im Orient und auf den Flüssen
Indiens noch der gleichen „Schwimmkissen", Keleks oder Mussuks genannt,
mit denen Männer, Frauen und größere Linder recht geschickt umzugehen
verstehen. Dr. W. Andrae, der bei den deutschen Ausgrabungen in Assur,
der alten assyrischen Stadt auf dem Hügel Kalat Schergät am Tigris zwi-
schen Mosul und Bagdad, beteiligt war, berichtete über diesen absonderlich
17. 1922.

anmutenden Verkehr auf dem Wasser. Anfangs schwammen die über dem
Fluß hausenden Leute täglich zur Arbeit herüber und zum Feierabend hin-
über, später nur noch für die Dauer des Sonntags. Sie durchquerten auf
ihren Schwimmkissen die Fluten des Tigris sogar, wenn er kalt war und
mit Eis ging. Dabei ritten Männlein und Weiblein auf einem aufgeblasenen
Lederschlauch, die Männer splitternackt, die Frauen in indigoblauen Hem-
den, mit beiden Beinen und einer Hand im Wasser paddelnd. Die Strö-
mung zwang sie oft zu zwei und drei Kilometer weiten Wasserritten. Ein
Bote, der einen Brief brachte, hatte mit dem landesüblichen Fahrzeug auf
dem unzählige große und kleine Windungen machenden Tigris eine Strecke von
hundertzehn Kilometer zurückgelegt. Gewiß eine achtbare Leistung. Hatten
sie an Land die Luft aus dem Schlauchboot gelassen, so konnten sie die Haut
bequem auf dem Rücken tragen. Fürwahr, ein einfaches und doch praktisches
Verkehrsmittel! Bei den phantastischen Lederpreisen wären solche einfache
„Faltboote" bei uns unerschwinglich; sie werden aber auch im Orient und
in Indien nun nicht mehr so billig zu haben sein wie vor dem Krieg. M. Ry.
 
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