Kinderglück auf dem Weihnachtstisch / Nach einer künstlerischen
All Ritters Seite kam sie vom Wirtsgarten her. Weit hinter
beiden schlenderte Fritz Melber.
„Wo bleibst du nur, Annie? Und mit wem sprichst du?"
Annie ritz, dunkelrot im Gesicht vor Verlegenheit, ihre
Hand aus der Martins.
„— Er bat mich um Wasser," stotterte sie.
Niederhängende Fichtenzweige hatten bis jetzt Martins
Ausnahme von Hans Ludewig in Weißig bei Oresden-Bühlau.
seien es Tropfen seines Herzblutes, als ströme mit ihrem
silberhellen Glitzern aus seiner Seele, was darin licht und
rein gewesen war. Er sah, wie Annie sich ohne ein Wort
von ihm wandte, der andern, seiner Feindin zu, sich von
ihm schied, ohne einen Blick zurückzuwerfen, hörte ihrkurzes
„Nein" auf ihres Vaters Frage, ob er ein Freund von ihr sei.
Und er preßte mit einem Stöhnen die Fäuste an die
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Schläfen. Entschieden war's! Der Engel, um dessen Erbar-
men er demütig gefleht hatte, verwarf ihn, — so mochte
die Hölle ihn haben. Ohne Halt in freier Luft schweben
kann keiner. Also würde er sich denen anschlietzen, die ver-
langend die Hände nach ihm ausstreckten, zu denen er durch
sein Blut gehörte.
Es war Nacht, als er seiner Mutter Haus erreichte. Auf
der Kanalbrücke traf er auf seinen Schwager Hetzberg, der
den „Schwarzen Peter" verabschiedete. Wenige Laternen
brannten. Hier und da glitzerte ein Wellchen auf in ihrem
Licht. Einzelne Hölzer schwammen auf dem Wasser abwärts,
hier und da sich auf Augenblicke festhakend, aber abwärts,
immer abwärts treibend, wie die Flut sie zog. Können Dinge
und Menschen auch wohl gegen den Strom schwimmen?
In der Küche stand trotz des Sonntags Mutter Lenz am
Bügeltisch und bügelte Mannshemden. In einer Ecke wusch
Jette die Windeln der Zwillinge, während neben der bla-
kenden Petroleumlampe Lude schlecht und recht seine Schul-
aufgaben schrieb. Auf dem Eßtisch standen noch Neste des
Abendbrotes, abgegessene Teller, leere Bierflaschen.
Mutter Lenz schaute grimmig auf Martin, und ihre Unter-
lippe schob sich gewaltig vor.
„Kommst du wirklich heut noch? Ich mutz mich wundern.
Eben hab' ich Hetzberg gesagt, er soll das Haus zuschlietzen,
wenn er hereinkommt. Von uns wär' keiner aufgestanden,
um dir aufzumachen. Das bild' dir ja nicht ein."
„Daß er so lange herumgelaufen wär', um Arbeit zu
suchen, kann der Bengel uns heut, am Sonntag, nicht
weismachen," höhnte Jette aus ihrer Ecke.
Gesicht vor Roses Augen versteckt. Herantretend erkannte
sie ihren Bruder. Ihre Stirn zog sich in Falten, ihre
Züge erstarrten zu Eis.
„—Und da hast du es ihm gegeben?! — Und stehst mit
ihm Hand in Hand?! — Ich schäme mich für dich, Annie —
und dein Vater wird nicht erfreut sein über solchen Verkehr.
— Gleich gieße das Wasser aus! — Gieß es aus, sag' ich! —
Ich trinke nicht aus dem gleichen Glas mit einem — Va-
gabunden."
Äußerste Verachtung lag in dem Ton. Dann wandte sie
sich rasch, versperrte Melber den Weg. Ihr Mann sollte
ihren Bruder nicht erkennen, ihr neuer Freund nichts ahnen
von dieser Verwandtschaft.
„Komm nach Haus, Fritz. Kommen Sie, Herr Ritter.
Ich möchte nach Haus. Und du, Annie — worauf wartest
du? Gleich gieße das beschmutzte Wasser aus. Gieß es aus!
Hörst du nicht?!"
Kaum wissend in ihrer Verwirrung, was sie tat, senkte
Annie das Gefäß, ließ das Wasser zur Erde laufen, dann
folgte sie mit gebeugtem Kopf den andern. Sie schaute
nicht zurück.
„War der Mensch, mit dein wir dich antrafen, ein Freund
von dir, Annie?" erkundigte sich Melber, der einen Teil
von Roses Worten gehört hatte.
„Nein," antwortete Annie schroff.
Martin hatte während des Auftritts stumm gestanden.
Er sah, wie Annie gehorsam das Wasser ausgotz, das seine
Lippen verunreinigt haben sollten. Tropfen für Tropfen
sah er es in die Tannennadeln fallen. Und es war ihm, als
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