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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0214
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14 Das Buch für Alle Heft z

/rerrerr?

Don /?^on/ /-/. ^I7^nee

(^7^a es nun einmal so ein-
gerichtet ist, daß man von
den am nächsten liegenden Din-
gen am wenigsten weiß, ist es
wohl nicht überflüssig, die im
Titel aufgeworfene Frage ein-
mal öffentlich zu beantworten.
Denn die Antwort, wir Heizen,
um nicht zu erfrieren, ist so un-
zulänglich, daß sicher die meisten
schon stocken, bevor sie sie aus-
sprechen. Die Rehe im Walde
und die Hasen im Felde erfrieren
ja im Winter auch nicht. Dieses
Schicksal aber würde uns bevor-
stehen, auch wenn wir ein Reh-
fell umhätten oder uns in Ha-

Im Schneetreiben / Nach einer künstlerischen Ausnahme von Ernst Börner.


senpelz kleiden würden.
Um zu verstehen, worum es sich bei der Frage der Heiznotwendigkeit
handelt, muß man sich vor allem klarmachen, was die durch das Heizen
angestrebte Wärme eigentlich ist. Die Beantwortung fällt der Wissenschaft
noch immer nicht leicht. Am ehesten macht sie sich durch die bildhafte Er-
klärung verständlich, daß alle Substanzen aus überaus kleinen Teilen,
Molekülen, bestehen, die wie die Gestirne des Himmels sich in gesetzmäßiger
Weise gegeneinander bewegen. Die Geschwindigkeit dieser Bewegung ist
es nun, was man als Temperatur bezeichnen kann. Sehr langsame Be-
wegung entspricht der Kälte, eine Beschleunigung dem Wärmerwerden.
Soweit wäre alles klar und leicht verständlich. Leben bedarf einer ge-
wissen Temperatur, und ohne die Wärme der Sonne oder eines künstlichen
Sonnenersatzes muß es in jedem Sinn erstarren.
Die Schwierigkeit des Verstehens liegt in etwas ganz anderem. Wenn
die Sache so einfach wäre, dann müßte mit dem ersten Frost alles, was
nicht seinen Ofen und das dazugehörige Feuerungsmaterial besitzt, in
Todesstarre versinken und — wenn es gut geht — darin verbleiben, bis
die Wiederkehr der Sonnenwärme den Starrkrampf löst. Aber wir sahen
gerade in den Eingangszeilen dieser Betrachtung, daß Wal und Hase sich
wenig um Frost und Winterstarre scheren, und ein Gang durch die winter-
liche Natur zeigt im Nu hundert Beispiele, zeigt, daß Flechten und Moose
auf den Bäumen und Steinen, daß die kleinen schwarzen Schneeslöhe auf
der Oberfläche hartgefrorener Schneedecken, daß die Bäume im Walde
alle ohne Heizung und Schutz dem Frost trotzen, daß also zum mindesten
zwischen Leben und Leben in diesem Punkte die erheblichsten Unterschiede
bestehen. Denn die armen kleinen Eidechsen, die bei uns kümmerlich genug
leben, werden schon unbeweglich, wenn im August ein kühlerer Sommertag
die Fluren erquickt,- die Libellen am Rande der Flüsse sind an manchem
bedeckten Herbsttag so kältestarr, daß man sie mit Händen greifen kann, und
Papageien zittern vor Kälte bei uns oft genug selbst im geheizten Zimmer.
Jetzt erst wird das eigentliche Problem, das hinter der ganzen Frage
steckt, sichtbar. Jede Tier- und Pflanzenart hat ein anderes Verhältnis
zur Wärme. Wie ist das unsere geregelt? Und warum sind diese Unter-
schiede?
Wer das beantworten kann, der hat die richtige Antwort auf die Frage
gefunden, warum wir Heizen müssen. Wir befinden uns in Europa nicht
in einem Klima, das der Organisation des menschlichen Körpers ganz
entspricht. Jede Art von Lebewesen ist darin von eigener Beschaffenheit
und wahrt gerade in dieser Hinsicht seine Natur mit einer erstaunlichen
Konsequenz und Beständigkeit. Am besten kann man das an jenen Formen
studieren, denen die freie Körperbeweglichkeit versagt ist, also etwa an

den Pflanzen oder Korallen. An diesen kann man erkennen, daß schon
ganz geringfügige klimatische Schwankungen, wenn sie nur dauernder
Natur sind, ihren Verbreitungsbezirk einschränken. Danach konnte man
zum Beispiel für jede Pflanzenart den Jahresdurchschnitt der Temperatur
berechnen, dem sie angepaßt ist. Von den Palmen weiß man, daß sie
wildwachsend und srüchtereifend nur dort vorkommen, wo die Jahres-
temperatur durchschnittlich mindestens 15 Grad Celsius beträgt. Obst reift
nur in den Landstrichen, welche wenigstens 7 Grad Celsius Jahresdurch-
schnitt besitzen. Der Haselstrauch erstreckt sich nur in Gebiete, welche wärmer
als 4,5 Grad Celsius im Jahre sind. Wein reift nur unter einem Klima
von durchschnittlich 9 Grad Celsius. Korallen leben auf der ganzen Erde
riffebildend nur in den Meeren, deren Temperatur nicht unter 20 Grad
Celsius sinkt. Und so könnte man bei genügend genauer Kenntnis der
Lebensverhältnisse für jedes Lebewesen den klimatisch genau umzirkten

Kreis angeben, an den es angepaßt ist.
Für den Menschen ist nun diese Arbeit — so merkwürdig das auch klingt—
noch nicht geleistet. Man kann ohne die tausendfachen, peinlich genauen
Beobachtungen, die dieser Bestimmung vorausgehen müßten, nur an-
nähernd schätzen, welches Temperaturminimum seiner „Lebensgrenze" ent-
spricht. Es ist so ziemlich die jedermann aus eigenem Erleben wohlbekannte
„Badegrenze", jene 14 bis 16 Grad Celsius Luft- und Wassertemperatur,
die für die meisten Menschen etwa das Erträgliche bedeuten, was sie im
Luft- oder Flußbad noch auf sich nehmen wollen oder können. Ein Fluß-
bad von 14 Grad Celsius kann, die nötige Abhärtung vorausgesetzt, noch
als angenehm empfunden werden, kälteres Wasser aber schadet den meisten.
Eine Zimmertemperatur gleichen Grades erscheint noch wohlig und zu
dauerndem Aufenthalt geeignet; eine Stube, welche andauernd unter
dieser Grenze „erwärmt" ist, wird als unangenehm, schließlich als uner-
träglich empfunden.
Der Mensch fühlt sich also dauernd eigentlich nur in einem „Palmen-
klima" wohl und sucht überall dort, wo ihm die Natur nicht ein solches
bietet, es sich durch künstliche Mittel zu verschaffen. Bei geringeren Ab-
weichungen greift er zur warmen Kleidung; sinkt aber die Temperatur
einmal um etwa 10 bis 15 Grad unter sein „natürliches Minimum,

dann hilft ihm auf die Dauer nur künstliche Lufterwärmung.
Dies ist etwa die Antwort, welche man heute auf die Frage, warum
man Heizen muß, geben kann. Die Menschheit hat zum großen Teil ihren
natürlichen Verbreitungsbezirk verlassen; sie lebt in den Gegenden nörd-
lich von Griechenland, Neapel und Rom unter unnatürlichen Verhältnissen,
daher muß sie sich dort mit großen Kosten in den Monaten ein künstliches
 
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