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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0218
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vo/i / <9M/?>/e/-/ r^o/r 62/-/

oher ich den großen Christus am Kreuze da drüben an der Wand
habe, wollen Sie wissen? Ja, er gehört eigentlich gar nicht mir,
er ist nur ein Vermächtnis, das ich auszusühren habe, wenn ich noch ein-
mal im Leben Heimkommen sollte."
Doktor Nottenweiler, der Hafenarzt der chilenischen Hafenstadt La Se-
rena, streifte nachdenklich die Asche von seiner Zigarre und sah zur ge-
öffneten Balkontüre hinaus. Die Sonne war hinter der Kimmung ver-
schwunden und violette Schatten huschten rasch über die Landschaft.
Ein indianischer Diener, der ins Zimmer getreten war, wollte Licht
machen, Doktor Rottenweiler wehrte ihm.
„Laß, Pedro. Ihnen, lieber Freund, macht es wohl nichts aus, wenn
wir im Dunkel bleiben ..." — dann nach einer Pause — „... es erzählt
sich besser."
Ohne sich um uns zu kümmern, war Pedro vor dem Kreuz ins Knie
gesunken und betete lange. Als er das Zimmer verlassen hatte, meinte
der Doktor: „Der Alte ist der zweite Teil des Vermächtnisses, das mir
der Mann hinterlassen hat, den sie den ,Heiligen' nannten, der sich ein
Leben lang nach der Heimat sehnte und sie nicht Wiedersehen sollte."
Die Zigarren glühten in der Dunkelheit auf wie große Leuchtkäfer, und
es dauerte einige Minuten, ehe der Doktor fortsuhr.
„Wie ich hierherkam, wissen Sie. Uber die Anden. In Buenos Aires
hatte ich mich einer Expedition in den Chako angeschlossen, aber schon in
Jujuy trennte ich mich von den übrigen. Fieber warf mich nieder, und
als ich wieder beisammen war, beschloß ich nach Chile zu gehen. Einer
aus unserer Truppe schloß sich mir an.
Mertens behauptete ein Deutscher zu sein, doch hatte ich Gründe, seine
Landsmannschaft in Zweifel zu ziehen, wiewohl er fließend Deutsch sprach.
Meine Lage erlaubte mir nicht, wählerisch zu sein; wiewohl er ein übler
Kerl war, der soff, was er erreichen konnte, sprach er doch Spanisch wie

ein Peon, und das war für mich ausschlaggebend, da meine Sprachkennl-
nisse noch recht lückenhaft waren.
Um Geld zu sparen, wollten wir den Übergang über die Anden aas
dem Passe de Picas negras wagen. Wohl warnte man uns wegen der
späten Jahreszeit. Eine andere Wahl blieb uns aber nicht, wenn wir nicht
ganz blank hinüberkommen wollten. Schließlich fanden wir einen Arriero
— Joss Laretto, der den Übergang als letzter in diesen: Jahre machen
wollte. Sein Zug war klein, nur sechs Mulas, die schwer beladen waren-
Schmuggelware, wie ich vermutete — doch das ging uns nichts an.
Josö war ein roher Patron, sein Peon, ein Gebirgsindianer, nicht
minder. Unsere Felleisen, die wir der Abmachung gemäß auf eines der
Maultiere hätten verladen sollen, mußten wir, um Streit zu vermeiden,
selbst tragen, als der Weg immer schlechter wurde.
In kaum zweitausend Meter Höhe erwischte uns der erste Schneestum.
Er dauerte drei Tage, und wir verbrachten ihn in einer der halbverfallenen
Schutzhütten, die nichts anderes als ein Steinkegel mit einem Loch im
Innern sind. Die Tiere blieben draußen. Als der Sturm sich gelegt hatte,
waren zwei Mulas verschwunden.
Der Peon riet zur Umkehr, Josö aber wollte davon nichts wissen. Er
fluchte und schwor bei allen Heiligen, daß er über den Paß gehen werde,
und wenn der Teufel das letzte Maultier holen sollte.
Wir kämpften uns weiter aufwärts auf dem glatt gewordenen Pfade.
Der Wind wehte in unverminderter Stärke, die Luft roch nach Schnee.
Als das dritte Maultier ausglitt und in der Schlucht verschwand, drang der
Peon neuerlich in Josö, und auch Mertens mischte sich in die Unterhaltung.
Es dauerte lange, bis der Arriero nachgab. Noch hatten wir zwei Drittel
der Höhe nicht erreicht, und es schien fast unmöglich, den immer steiler
werdenden Weg fortzusetzen. Endlich entschloß sich Josö, in ein Seitental
abzubiegen, um besseres Wetter abzuwarten und Unterkunft zu suchen.
Über eine Stunde ar-



„Bischt a Deutscher? Woll, woll. 's ischt a echt's Stück! Grödner Tal,
was du da sixst. I bin von durt und hab mei Hoimat nit vergess'n."

beiteten wir uns durch
den Schnee, bis wir zu
einem Hause kamen,das
anders als die landes-
üblichen war. Ich sage
Haus, obwohl es nach
unseren Begriffen kein
Haus war. Ganz aus
flachen Steinen ge-
schichtet, trugen die
Mauern ein Dach aus
Steinplatten. Ein we-
nig erinnerte es an du
Almhütten, wie sie in
der Schweiz üblich sind-
Doch hatten statt des
Holzes dieser Bauten
nur Steine Verwen-

dung gefunden.
Meine Frage, wew
der Bau gehöre, beann
wortete Josö lakonG
,Dem Heiligen.^
müssen warten, brs w
Wetter besserwlrd;da
kann Tage dauern-M
ser Proviant ist s
Ende und das leh
Holz ist mit dem
dämmten Mula m
Schlucht gewander.
Ich war zu nn"
um weiter zu frag '
Mußte übrigens
sonderbarer AM
sein, der sich d«
senloch zum E
ausgesucht haÜ -
 
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