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Springer, Anton
Kunsthistorische Bilderbogen: für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- und höheren Töchterschulen zusammengestellt (Suppl. 1, Textbuch): Die Kunst des Neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1884 (2., verm. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1176#0011
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Einleitung. a
Kunst nicht rasch zu fällen. Auch die solgenden Zeilen sind weit
davon entfernt, sich ein solches anzumaßen, begnügen sich viel-
mehr, den äußeren Verlauf der Entwickelung der modernen Kunst
zu erzählen und die Resultate einzelner Beobachtungen und Er-
fahrungen zusammenzustellen.
Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis nahezu in die
fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts herrschte eine Richtung, welche
wir in ihrem Anfange, ihrer Blüthezeit und in ihrem langsamen
Zurücktreten genau verfolgen können. Sie nahm ihren Ausgangs-
punkt von dem erhöhten Interesse an der antiken Kunst, suchte
sich nach klassischen Vorbildern zu regeln, holte mit Vorliebe
auch den Inhalt der Darstellungen aus dem griechischen und
römischen Alterthume. Die Phantasie erhitzte sich oder begeisterte
sich je nach dem Grade ihrer Gesundheit für das Große und
Mächtige in den Gegenständen und Formen der Schilderung. Sie
opferte lieber etwas von der packenden Naturwahrheit, von dem
einschmeichelnden Scheine und der unmittelbaren sinnlichen Wirkung,
als daß sie eine Einbuße an Reinheit der Linien und Krast des
Ausdruckes geduldet hätte. Der Wetteifer mit der Poesie galt
für berechtigt, und daß auch die Werke der bildenden Kunst
durch den Reichthum und die Tiefe der Gedanken glänzen sollen,
erschien als die wichtigste Bedingung eines gedeihlichen Kunst-
lebens. Vor einem Menschenalter etwa wurde diese klassisch-
poetische Richtung von einer anderen abgelöst, welche von
wesentlich verschiedenen Grundsätzen ausgeht und vielfach ent-
gegengesetzte Ziele verfolgt. Nur als Mittel hatte man vorher
die Farbe angesehen, um die mit Vorliebe geschaffenen umfassenden
Kompositionen bener zu gliedern und die reine Zeichnung deut-
licher zu machen; sie wird nun zum Selbstzwecke erhoben, jeden-
falls auf das Malerische das Hauptgewicht gelegt. Mit Hülfe der
Farbe werden Wirkungen erzielt, welche aufsallend an den Esfekt
der Tonfolgen in der Musik, an schwebende Harmonien erinnern.
Es geschah dieses zur selben Zeit, als in der Musik der einsache
Fluß der Melodie durch überraschende Klangfarben und charak-
teristische Instrumentirung zurückgedrängt, also eine Annäherung
an das Malerische gesucht wurde. Die Gegenstände der Dar-
stellung werden so gewählt und geordnet, daß dem Farbenreize,
dem lebendigen Glänze der Erscheinung die breiteste Entfaltung
möglich ist. Architektonische Regeln gliedern nicht die Kom-
position; die klassische Tradition, die plastische Kunst bestimmen
nicht die Zeichnung und Gruppirung der Gestalten in den Werken
 
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