Der Papagei
von
Stefan Großmann
s ist ein Wunder, daß der Papagei des Wirtes
Schulze, Ecke der Mühlen- und Kasernenstraße,
»och immer lebt. Gott weiß, wie er sich in den licht-
losen Keller verirrt hatte. Aber da saß er nun, ich
glaube jahrelang, in dem grauschwarzen, verrauchten,
säuerlichen Gewblbe, er in seiner hcllgrünen, feuerroten
Lebendigkeit. Ia, er war mißgestimmt, sein Krächzen
und Schnarren verriet eine menschenfeindliche Lebens-
auffassung, seineFedern sträubten sich gegen denWelten-
lauf. Wenn die Kutscher, Geschäftsdiener. Strahen-
bahner und Anteroffiziere an Kokos Käfig herantraten,
so riß er seinenscharfenHakenschnabel mit einem zornigen
Ruck herunter. Zwängte sich gar ein fleischiger Finger
durch die Stäbe, so versuchte er anfangs, den spitzen
Haken in die blöde Fleischmasse einzubohren,' aber dabei
schlug er den eigenen Kopf an die Stange und das er-
gab Migräne, noch verbittert durch das stupide Gelächter
des Fingerbesihers. So wurde er allmählich geistig
reif, satz unbewegt in seinem Schaukelring und hahte
mit seinen hurtigen Äuglein die Zudringlichen, die ihn
umdrüngten. Kein Zuruf, kein guckerstückchen, keine
freche Uberraschung konnte ihn mehr von seinem Sitz
weglocken!
Das Halbdunkel verdroß ihn, gewiß, das grüne Gas-
licht ärgerte ih», aber am wütendsten machte ihn das
Geschrei der Gäste. Wenn sie da m» den langen Tisch
sahen, großmächtige Gläser Bieres leerten, pvlitisierten,
brüllten, lachten und sich umarmten oder beflegelten,
dann schnarrte mitten in den Lärm seine schrille Papa-
geienstimme. Einmal war eine wilde Rauferei im
Gange, Sessel wurden geschwungen, Bierkrüge klirrten,
da gelang es ihm, die Schreier zu übergellen, und einer
der aufgeregtesten Raufbolde mußte über das plötzliche,
tolle Gekreisch des Papageis so laut auflachen, daß er
den schon erhobenen Sessel kraftlvs sinken lieh. Das
sah Herr Schulze, der Wirt, und beschloß, dem Papagei
in einigen langen Lektionen am frühen Morgen, so
lange der Keller leer war, das Wort „Frieden" beizu-
bringen. Ietzt hatte der Papagei seine Lebensaufgabe
in Schulzes Keller! Das „r" und das „i" gefielen dem
Papagei. Er pfauchte ein brillantes „F.. F... riiden"
heraus.
.
Im August 1914 war die Schenke jeden Tag voll.
Es gab an jedem Abend Gesang und Geschrei, Ver-
brüderungsküsse und politische Redensarten, auf die
Schenkel wurde geschlagen und Mädeln abgefühlt, daß
es eine Freude war. In dieses hihige Durcheinander
schrie der Papagei vergebens sein eingelerntes Vokabel.
Die Welt war im großen Rausch. Wer hörte da auf
einen Papagei?
Dann kamen stillere Zeiten. Eines Tages stand Herr
Schulze, der Wirt selbst, in grauer Ilniform vor dem
Küfig: „Adjes, Papagei, und gib auf mein Weib acht",
sagte er dem Vogel in die Augen.
Der sah ihn an und kreischte: „F ... F... Frieden!"
An den Abenden war der Keller überfüllt. Kleine
Handwerker, Kassenboten, Geschäftsdiener, alles ältere
Iahrgänge, saßen um den langen Tisch und diskutierten
über Rußland und Asien, über Tauchboote und Eier-
preise, über England und die Türken, über Ekrasit-
bomben nnd Schweincfleisch. Das große Mort führte
der Vorsitzende des Rauchklubs „Mit Volldcnnpf los".
Er war ein Mann der Tat, besaß eine Bürenstimme
und duldete keinen Widerspruch. Einmal hatte er eine
grandiose Idee: „Schreiben wir Pe Karte an Hinden-
burg!"
Der Rauchklub schrie auf, trampelte vor Freude und
bestellte frisches Bier.
Der Papagei kreischte.
Der Vorsitzende leckte schon die Bleistiftspihe sür
Hindenburgs Karte und rief: „Er soll überhaupt keine
Gefangenen machen, wir brauchen unser Brot."
Dabei wurde der dicke Mann blutrot vor Entschlossen-
heit, die lehten Worte schrie er so laut, daß der Papagei
sich verpflichtet fühlte, den Stimmkamps aufzunehmen
und er überschrie alle: „§ ... F ... Frieden!"
Der Vorsitzende drehte sich verblüfft um. Wer
wagte . .. ? Da gewahrte er den Vogel. Er warf
ihm ein „Kusch!" zu und wendete sich wieder den stra-
tegischen Fragen zu. Aber er konnte nicht umhin, der
Frau Schulze vor dem Fortgehen zu sagen, daß er und
seine Leute in einem Lokal nicht verkehren können, in
dem so merkwürdige Demonstrationen stattfinden . Der
ganze Rauchklub „Mit Volldampf los" werde seinen
Sitz verlegen müssen!
Deilage zum „Bildermann", l. Zcchrg., Nr. 2.
von
Stefan Großmann
s ist ein Wunder, daß der Papagei des Wirtes
Schulze, Ecke der Mühlen- und Kasernenstraße,
»och immer lebt. Gott weiß, wie er sich in den licht-
losen Keller verirrt hatte. Aber da saß er nun, ich
glaube jahrelang, in dem grauschwarzen, verrauchten,
säuerlichen Gewblbe, er in seiner hcllgrünen, feuerroten
Lebendigkeit. Ia, er war mißgestimmt, sein Krächzen
und Schnarren verriet eine menschenfeindliche Lebens-
auffassung, seineFedern sträubten sich gegen denWelten-
lauf. Wenn die Kutscher, Geschäftsdiener. Strahen-
bahner und Anteroffiziere an Kokos Käfig herantraten,
so riß er seinenscharfenHakenschnabel mit einem zornigen
Ruck herunter. Zwängte sich gar ein fleischiger Finger
durch die Stäbe, so versuchte er anfangs, den spitzen
Haken in die blöde Fleischmasse einzubohren,' aber dabei
schlug er den eigenen Kopf an die Stange und das er-
gab Migräne, noch verbittert durch das stupide Gelächter
des Fingerbesihers. So wurde er allmählich geistig
reif, satz unbewegt in seinem Schaukelring und hahte
mit seinen hurtigen Äuglein die Zudringlichen, die ihn
umdrüngten. Kein Zuruf, kein guckerstückchen, keine
freche Uberraschung konnte ihn mehr von seinem Sitz
weglocken!
Das Halbdunkel verdroß ihn, gewiß, das grüne Gas-
licht ärgerte ih», aber am wütendsten machte ihn das
Geschrei der Gäste. Wenn sie da m» den langen Tisch
sahen, großmächtige Gläser Bieres leerten, pvlitisierten,
brüllten, lachten und sich umarmten oder beflegelten,
dann schnarrte mitten in den Lärm seine schrille Papa-
geienstimme. Einmal war eine wilde Rauferei im
Gange, Sessel wurden geschwungen, Bierkrüge klirrten,
da gelang es ihm, die Schreier zu übergellen, und einer
der aufgeregtesten Raufbolde mußte über das plötzliche,
tolle Gekreisch des Papageis so laut auflachen, daß er
den schon erhobenen Sessel kraftlvs sinken lieh. Das
sah Herr Schulze, der Wirt, und beschloß, dem Papagei
in einigen langen Lektionen am frühen Morgen, so
lange der Keller leer war, das Wort „Frieden" beizu-
bringen. Ietzt hatte der Papagei seine Lebensaufgabe
in Schulzes Keller! Das „r" und das „i" gefielen dem
Papagei. Er pfauchte ein brillantes „F.. F... riiden"
heraus.
.
Im August 1914 war die Schenke jeden Tag voll.
Es gab an jedem Abend Gesang und Geschrei, Ver-
brüderungsküsse und politische Redensarten, auf die
Schenkel wurde geschlagen und Mädeln abgefühlt, daß
es eine Freude war. In dieses hihige Durcheinander
schrie der Papagei vergebens sein eingelerntes Vokabel.
Die Welt war im großen Rausch. Wer hörte da auf
einen Papagei?
Dann kamen stillere Zeiten. Eines Tages stand Herr
Schulze, der Wirt selbst, in grauer Ilniform vor dem
Küfig: „Adjes, Papagei, und gib auf mein Weib acht",
sagte er dem Vogel in die Augen.
Der sah ihn an und kreischte: „F ... F... Frieden!"
An den Abenden war der Keller überfüllt. Kleine
Handwerker, Kassenboten, Geschäftsdiener, alles ältere
Iahrgänge, saßen um den langen Tisch und diskutierten
über Rußland und Asien, über Tauchboote und Eier-
preise, über England und die Türken, über Ekrasit-
bomben nnd Schweincfleisch. Das große Mort führte
der Vorsitzende des Rauchklubs „Mit Volldcnnpf los".
Er war ein Mann der Tat, besaß eine Bürenstimme
und duldete keinen Widerspruch. Einmal hatte er eine
grandiose Idee: „Schreiben wir Pe Karte an Hinden-
burg!"
Der Rauchklub schrie auf, trampelte vor Freude und
bestellte frisches Bier.
Der Papagei kreischte.
Der Vorsitzende leckte schon die Bleistiftspihe sür
Hindenburgs Karte und rief: „Er soll überhaupt keine
Gefangenen machen, wir brauchen unser Brot."
Dabei wurde der dicke Mann blutrot vor Entschlossen-
heit, die lehten Worte schrie er so laut, daß der Papagei
sich verpflichtet fühlte, den Stimmkamps aufzunehmen
und er überschrie alle: „§ ... F ... Frieden!"
Der Vorsitzende drehte sich verblüfft um. Wer
wagte . .. ? Da gewahrte er den Vogel. Er warf
ihm ein „Kusch!" zu und wendete sich wieder den stra-
tegischen Fragen zu. Aber er konnte nicht umhin, der
Frau Schulze vor dem Fortgehen zu sagen, daß er und
seine Leute in einem Lokal nicht verkehren können, in
dem so merkwürdige Demonstrationen stattfinden . Der
ganze Rauchklub „Mit Volldampf los" werde seinen
Sitz verlegen müssen!
Deilage zum „Bildermann", l. Zcchrg., Nr. 2.