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Die alte Stadt.

Kriegserlebnis eines Ästheten.

O^ch bin in eine kleine, alte Stadt gereist, um Kunst-
^ historie zu treiben. Großmächtige Barokkirchen sind
da und schmale Sehnsucht gotischer Figuren, verschlafene
Winkelgähchen und eine Residenz in heitern Farben
ausgemalt. Ich bin in diese alte Stadt gereift — sagen
wir's grad heraus — um micb vor einer schrillen
Eegenwart in den Falten der Vergangenheit zu ver-
stccken.

Es ist so süh, unter «lten Dingen zu weilen, sie sind
still und lassen gewähren. Und ihren D»ft einzuziehen,
wie man aus welken Blumen den Glanz ihrer Frische
spiclend erträumt. Vergangenheit, Du große Künst-
ierin, Du hoide Trösterin, die uns vom trüben Geschehen
nur die verklärte Linie aufbewahrt, die Transfiguration
ins Ästhetische, die Äbersehung der brutalen Tatsache
in den sanfren Schein.

Aber diesmal geiang's nicht.

Die lieben Gassen wärmen mich nicht mehr m ihren

tiefen Aalten. Die Kirchen umfangen mich nicht mehr,
wie duftende Grotten des kostbaren Tands. Den aiten
Dingen fehlt die Freundlichkeit des Verfalls.

Der grohe Blutdunst hat zu neuem Leben sie auf-
geweckt. Da stehen sie hart und böse. Mir graut vor
ihnen. Du, schrei ich dem steinernen Antlitz zu, Du hast
gemordet, und Du die Stadt in Brand gesteckt, um
Geld verraten. Haß, Unrecht, Leiden stürzen auf mich
ein, die Toten stehen auf und schreien begrabene Bos-
heit, verschollene Niedertracht, breitmäulige Gemein-
heit gcllend hinaus. Dus Alte öffnst sich, wie aus
einem Hölientor bricht der Unflat des Geschehsns
und wälzt in raschem, trübcm Strom dem fürchterlichen
Heute zu:

Die Tat ist los, die nackte, wesenlose Tat ins Un-
geheure rollend! Wir haben keinen Halt mehr. Wohin
treiben wir? Wird einer wieder Auh fassen können?
Wird sich Aestes fügen lassen?
 
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