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Unrast, weitcr f!og sie, immer wciter, bis die Schwlngen
ihr schwec wurden und bleiern das Gefiedec. Die Erde
zog sie nieder zu sich mit wuchtigem Zwang, immer tiefer
senkten sich die matten Fiügel, daß sie der feuchten Bäume
Wipfel schon streifren und am Abend des zweiten Tages
ließ sie s!ch endlich sinken in die Tiefe eines Maldes, der
noch namenlos war wie Alles in jeuem Anfang der Feit.
gn> Dickicht des Gezweigs barg sie sich und ruhte von der
luftigen Fahrt. Reisig deckte sie zu, Wind schläferte sie
«>>>, kühl war es im Gezweige des Tags und warm in
der waldigen Wohnunq des Nachts. Bald vergaß sie die
windigen Himmel und die Lockung der Ferne, die g>üne
Wölbung schloß sie ein und die Zeit wuchs ungezählt
über sie.

Es war ein Wald unserer nahen Welt, den die ver-
irrte Taube sich zur Hausung erkoren, aber noch weilten
keine Menschen darin und in dieser Einsamkeit ward sie
allmählich selbcr zum Traum. Im Dunkel, im nacht-
grünen, nistete sie und die Iahre gingen an ihr vorüber
und es vergah sie der Tod, denn alle jene Tiere, jeder
Gattung das eine, das noch die erste Welt vor der Sint-
flut gesehen, sie können nicht sterben und kein Iäger ver-
mag wider sie. Unsichtbar nisten sie in den unerforschten
Falten des Erdkleids und so diese Taube auch in der
Tiefe des Waldes. Manchmal fceilich kam Ahnen über
sie von der Menschen Gegenwart, ein Schuß knallte und
sprang hunderifach wider von den grünen Wänden,
Holzfäller schlugcn gcgen die Stämme, dah rings das
Dunkel dröhnte, das leise Lachen der Verliebten, die ver-
schlungen ins Abseits gingen, gurrte heimlich i»i Ge-
zweige, und das Singen der Kinder, die Beeren suchten,
tönte dünn und fern. Die versunkene Taube, versponnen
in Laub und Traum, hörte manchmal diese Stimmen
der Welt, aber sie lauschte ihnen ohne Ängsten und blieb
in ihrem Dunkel.

Einmal aber in diesen Tagen hub der ganze Wald an
zu dröhnen, und es donnerte, als bräche die Erde entzwei.
Durch die Luft sausten pfeifend schwarze metallene
Massen und wo sie fielen, sprang die Erde entsetzt in die

Luft, und die Bäume brachen wie Halme. Menschen in
farbigen Gewändern warfen den Tod einander zu, und
die furchtbarenMaschinen schleudertenFeuerundBrand.
Blihe suhren von der Erde in die Wolken und Donner
ihnen nach; es war, als wollte das Land in den Himmel
springen oder der Himmel niedersallen über das Land.
Die Taube fuhr auf aus ihrem Traum. Tod war über
ihr und die Vernichtung; wie einst die Wasser, so schwoll
nun das Feuer über die Welt. Iäh spannte sie die Flügel
und schwirrte empor, sich andere Heimstatt zu suchen als
den stürzenden Wald: eine Stätte des Friedens.

Sie schwirrte auf und flog über unsere Welt, um
Frieden zu finden, aber wohin sie flog, überall waren
diese Blitze, diese Donner der Menschen, überall Krieg.
Ein Meer von Feuer und Blut überschwemmte wie
einstens die Erde, eine Sintfiut war wieder gekvmmen
und hastig flügelte sie durch unsere Länder, eine Stätte
der Rast zu erspähn und dann aufzuschwebrn zum
Urvater, ihm das öiblatt der Verheißung zu bringen.
Aber nirgends war es zu finden in diesen Tagen, immer
höher schwoll die Ilut des Verderbens über die Mensch-
heit, immer weiter fraß sich der Brand durch unsere
Welt. Nvch hat sie die Rast nicht gefunden, noch die
Menschheit den Frieden nicht, und eher darf sie nicht
heimkehren, nicht ruhen für alle Zeit.

Keiner hat sie gesehen, die verirrte mythische Taube,
die Friedenssuchende in unseren Tagen, aber dvch flattect
sie über unsernHäuptern, ängstlich und schon flüg-lmatt.
Manchmal des Nachts nur, wenn inan aufschreckt aus
dem Schlaf, hört man ein Rauschen oben in der Luft,
ein hastiges Iagen im Dunkel, verstörten Flug und rat-
lose Flucht. Auf ihren Sctwingcn schweben all unser«
schwarzen Gedanken, in ihrer Angst wogen all unsere
Wünsche und die da zwischen Himinrl und Erde zitternd
schwebt, die verirrte Taube, unser eigenesSchicksal kündet
sie nun, der ungetreue Bote von einst, an denUrvater der
Menschheit. Und wieder harrt wie vor tausenden Iahren
eine Welt, daß einer die Hand ihc entgegcnbreite und
erkenne, es sei genug nun der Prüfung.


ieden Mon-Us >m Verlage d-s H-rausgebers, B-rlin zv >0, Vl-torlastr. 35. Leitung: Leo
Kestenderg, Berlin-Halensee <Fur Üsterreich: Hecausgeber u. verantwortl. Leiter Hugo Heller, Wi-n I, Bauernmartt3). Druck: M.W.Lassalch

und Amberg 6- Lefson.
 
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