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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1890

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Heft 11/12
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Gmelin, L.: Die Mittelalterliche Goldschmiedekunst in den Abruzzen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6755#0075
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X


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einem Nagel befestigt erscheinen, indem der rechte Fuß
seiner Länge nach an der Fläche des Kreuz-Stammes und
der linke daneben ruht, so daß von ersterem nur wenig
zu sehen ist. *) Es ist möglich, daß technische Schwierigkeiten
diese sonderbare Stellung veranlaßt haben, da die Dar-
stellung der gekreuzten Füße, namentlich in getriebener
Arbeit, ungleich schwieriger war. !Vie dem auch sei, soviel
geht daraus hervor, daß dieser Mitteltypus in der ersten
Hälfte des XIII. Jahrhunderts entstanden ist;7) in Anbetracht
der in den Abruzzen obwaltenden Verhältnisse kann man
die Entstehungszeit des genannten Kreuzes etwas nach der
Mitte des XIII. Jahrhunderts annehmen.3)

Der Gekreuzigte ist in:
Uebrigen stets mit kurzem ab-
gerundeten Vollbart, ohne
Krone, in schmerzgebeugter
Haltung (todt) dargestellt; der
Nimbus besteht aus einen:
Emailplättchen, auf welchem
das Kreuzzeichen in Blatt-
formen dargestellt ist.4) Das
Vortragkreuz selbst ist stets mit
einem mäßig aus der Fläche
herausgetriebenen Kreuz be-
legt, welches als eigentlicher Träger des Kruzifixus dient;
diese Belegkreuze sind bisweilen V-förmig (Nr. () und ihre
Arme endigen in Kleeblatt- oder Kreuzform.

Der segnende oder lehrende Ehristus auf der
Rückseite trägt stets den von den Lonsular-Diptychen ab-
geleiteten Typus, wie er schon in der ersten Hälfte des
V. Jahrhunderts z. B. in S. Agata magg. in Ravenna auf-
trittfa) und wie er auch in Deutschland heimisch ist. °) Die
Hand des Ehristus ist bald ganz, bald halb geöffnet, während
die Linke sich stets auf dem auf dem Knie stehenden Buche
ruht. Der Thron, auf welchem er sitzt, charakterisirt sich
durch schwellende Kissen, welche an den Seiten hervortreten;
in einem merkwürdigen Fall (Nr. 2) sind die Seitentheile des
Thrones in Gestalt von Löwen gebildet. Aehnliche Formen
von Thronen finden sich vielfach in Arbeiten des XII. Jahr-
hunderts (z. B. in 3. Zeno in Verona)7) und früher; das
alterthümliche Aussehen, welches dieses Kreuzfragment durch
den Thron erhält, darf gleichwohl nicht über sein Alter —
zweite Hälfte des XIII. Jahrhunderts — irrefübren.
__

h Am passendsten würde die Stellung der Füße wohl mit
„Rechts-um" bezeichnet werden können.

2) Dr. Stockbauer äußerte sich über diese vier Kreuze, daß sie
„jedenfalls vor (250" aber „nicht vor (2oo" seien.

s) (Es sei hier bemerkt, daß auch der lsalsabschluß des Gewandes
bei dem lehrenden Christus der Rückseite von Nr. ( dieser Zeit ent-
spricht (außer der breiten Bordüre in der Mitte ein kurzes, ebenso
ausgesührtes, senkrechtes Band); derselbe kommt bei kirchlichen Ge-
wändern im XII. und XIII. Iahrh. mehrfach vor, später nicht
mehr (?). vgl. Fleury, la messe, Band VII und VIII.

4) Das (Emailplättchen ist anfänglich nur ein den wenig vor-
trctenden Kopf mngebendes, ssaches Ringstück, welches erst später bei
gleichzeitigem weiteren peraustretcn des Kopfes fast völlig kreis-
förmig wird, wie z. B. bei Nr. S.

5) Garrucci. Storia dell’arte cristiana IV.

6) vgl. die Lhristusstatue am Portal von S. (Emmeram in
in Regensburg, ffeft 5/s dieser Zeitschrift, S. sz.

7) Fleury, la messe. Bd. II, Taf. CLXVI; andere auf Taf.
CLXIII und CLXV; Bd. VII, Taf. DL; Bd. VIII, Taf. DCLXIV.

Drnament.

von einem Fenster des Pal. Tabassi in
Solmona.

Die Größe der Kreuze schwankt zwischen 50 und 70 cm.
Höhe bei ((0 bis 60 cm. Anerbalkenlänge. — Sie endigen
in Kleeblattform oder Vierpässen, wobei die Bogenformen
manchmal etwas zugespitzt und ausgeschweift erscheinen.

In Bezug auf die Technik sei zunächst bemerkt, daß
diese Vortragkreuze aus einem Holzkern bestehen, welcher
mit getriebenen Silberblechen bekleidet ist, deren je fünf die
Vorder- und Rückseite bilden; Blechstreifen decken die Kanten.
Die Befestigung dieser Bleche ist meistens eine ganz hand-
werksmäßige; es wird kein Versuch gemacht, die Fugen
zwischen den Blechstücken zu maskiren.

Die Durchbildung des Figürlichen, besonders
hinsichtlich der Gewandung, ist theilweise so handwerks-
mäßig, daß die Kreuze auch deshalb alterthümlicher aus-
fehen als sie wirklich sind. *) Im Vergleich zu der Statue
der thronenden Madonna in der Kathedrale zu Solmona
(XIII. Iahrh. ?), welche für den byzantinischen Stil geradezu
charakteristisch,") erscheinen sie allerdings als ein Fortschritt;
aber von den: durch Xicolo Bisano, Arnolfo di Cambio,
Cimabue herbeigeführten erfrischenden Luftzug, der in:
XIII. Jahrhundert Italien zu durchwehen anfing, und der
in Drvieto 3) und Assisi die edelsten Blüthen trieb, blieb diese
„Kreuzfabrikation" — soweit wir sie bis jetzt kennen —
ziemlich unberührt, wiewohl der damalige Landesherr,
Karl I., alle drei Künstler in seine Nähe gezogen hatte:
Xicolo wurde von ihm berufen, um in dem an der jetzigen
Bahnlinie Rom-Solmona gelegenen Tagliacozzo, zum An-
denken an seinen Sieg über Konradin eine Kirche mit
Kloster zu erbauen; *) — Cimabue kan: um's Jahr (270
nach Rom, wo Karl damals Senator war, 3) — und
Amolfo di Cambio stand um (277 in seinen Diensten. °)
Mit der von letzter::: geschaffenen sitzenden Statue7) Karls I.
auf dem Kapitol, deren Grund-Motiv ebenso den Lonsular-
Diptychen entlehnt ist, wie die segnenden
Lhristusse auf jenen Kruzifixen, haben aber
letztere wenig Verwandtschaft. — Gin
später Einfluß jener toskanischen Bild-
hauerschule findet sich in Solmona erst
zu Beginn des XV. Jahrhunderts an
den: von einem »lVlagister Cualterius
(Malther) de Alemania« i. I. (((02 ge-
fertigten Grabmal eines Caldora in der
Badia Moronese bei Solmona.8) Es ist
möglich, daß dieses Sarkophagrelief auch
auf die Krucifix-Figuren des XV. Jahr-
hunderts von besserndem Einfluß war.

Vorher aber herrscht in der figürlichen
Plastik der Silberschmiede Solmona's eine
große Befangenheit, von der auch die Nicandro-Büste des
Barbato (v. I. (5((0, Nr. H völlig beherrscht ist. * * * 4 * 6

Kantenoruainent
eines Solmoneser Areuzes.
(Nr. 3 des Verzeichnisses.)

*) vgl. v. Lacken. Ein goth. vortragkrenz in der k. k. Ambraser
Sammlung; Mittheil. der k. k. ZentrabKommisston, Iahrg. (872. S. (07.

b Bindi. Mon. Taf. (2(; and; bei Schulz, Denkmäler, Taf. 6(.

s) Grüner. Die Reliefs an der Fagade des Domes zu Brvieto.

4) S alazaro. Studi sui mon. della Italia meridionale. App.

Text. S. 3(.

6) Strzygowski, Cimabue. in Rom. Wien (888. S. (6<( ff.
6) Ebenda, S. (SS.

') Fr. wickhoff in d. Zeitfchr. f. bild. Kunst (890. S. ((2,
wo auch eine Abbildung dieser Statue.

b Abgeb. bei Bindi. Mon. Taf. (zq; Text S. 7S2.


Zeitschrift des bciyer. Aunstgewerbe-Vereins München.

*890. Heft \\ und \2 (Bg. 2).
 
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