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Bulletin du Musée National de Varsovie — 26.1985

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Nr. 3-4
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Salomonson, Jan Willem: Der Tod am Himmel, oder die Nachtgleiche des Herbstes: Bemerkungen zu der Darstellung eines Gemäldes von Dominicus van Wijnen in dem Nationalmuseum in Warschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.18901#0079
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beantwortet diesen Hinweis mit einer erschreckten Geste der linken Hand, aus der klar her-
vorgeht, dass die betreffende Störung bei ihr eine starke Bestürzung hervorruft und sie
schmerzlich überrascht.

Bei einem Versuch zu einer Deutung der eben beschriebenen Darstellung zu gelangen, gilt
es drei wichtige Tatsachen klar herauszustellen:

1. Erstens ist die Hauptperson der Handlung, wie wir feststellen konnten, kein Prophet oder
Zauberer, sondern eine Persönlichkeit die sich als Astronom oder Astrologe, mit der Sternkunde
und Himmelsforschung bîfasst.

2. Der athletische, aus den Wellen auftauchende Dämon mit den Insektenflügeln scheint
innerhalb der dargestellten Handlung — sowohl vom Gesichtspunkt der Komposition wie von
dem der Begebenheit au: — eine Schlüsselstellung einzunehmen.

Umso willkommener ist es, dass wir imstande sind die Identität dieser eigentümlichen Gestalt
mit Sicherheit zu bestimmen. Die Möglichkeit dazu bietet uns ein Vergleich mit einer Figur,
deren Darstellung uns bekannt ist aus einem anderen Gemäde von Van Wijnen. In dem Unter-
weltsbild das vorkommt auf einem Werk Van Wijnens in Braunschweig, das die Totenbesch-
ivörung des mythischen Sehers Tiresias schildert (Abb.3), erscheint, vor der brennenden Unter-
weltstadt, auf dem Wasser des Flusses der die Welt der Lebenden vom Reiche der Toten trennt,
der Totenfährmann Charon in seinem Kahn. Zwischen dieser Figur, dargestellt mit gebogener
Nase, spitzem Teufelskinn und durchsichtigen Schmetterlingsflügeln, und dem aus den Wogen
auftauchenden Dämon des Warschauer Bildes, besteht eine so auffällige Ähnlichkeit, dass nicht
bezweifelt werden kann, dass wir in beiden Fällen dieselbe Gestalt, denselben Abgesandten der
Unterwelt, vor Augen haben5.

3. Das dritte entscheidende Moment liegt schliesslich in der Tatsache, dass zwischen dem
Erscheinen dieses düsteren Gesandten des Todes und dem Abschied des göttlichen Liebespaares,
nach Ausweis der Gebärde des jungen Gottes, ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Zugerüstet mit der Erkenntnis die wir diesen drei Gegebenheiten entnehmen können, und mit
dieser Einsicht herantretend an das Material, das die umfangreiche mythologische Überlieferung
des klassischen Altertums uns beschafft, vermögen wir das Darstellungsthema des Warschauer
Bildes zu ergründen. Es handelt sich um eine wenig bekannte, man könnte sagen „apokryphe”
Fassung eines an sich, in anderen Formen, in der bildenden Kunst des 17. Jahrhunderts sehr
beliebten und häufig behandelten mythologischen Themas, nämlich die Liebesromanze von
Venus und Adonis.

Die Geschichte von Venus und Adonis kursierte in der Welt in verschiedenen Lesarten. Ein
gemeinsamer Zug aller dieser Varianten ist jedoch, dass zwei Göttinnen, Venus und Proserpina,
anlässlich des von beiden geliebten schönen Adonis, in einen unlöslichen, ewigdauernden Streit
mit einander geraten waren6.

Laut einer ersten, namentlich aus frühen Texten und Darstellungen bekannten Lesart des
Mythos, war Adonis schon als Kind von so blendender Schönheit, dass Venus sich um
ihn ängstigte. Um seine aussergewöhnliche Schönheit vor den Menschen und den Göttern zu
verheimlichen, versteckte sie ihn in ein Kästchen das sie der Proserpina, der Herrscherin der

5. Für das Braunschweiger Gemälde (noch ohne Deutung): Kat. Braunschweig (1983) 232 nr. 1040. Für die Deutung dieses
Bildes und des hinzugehörigen Pendants: KARev IX, 4 (April-Mai) (1983) 30 ff.

6. Für die Adonismythe in der antiken Literatur und bildenden Kunst: Atallah (1966) (mit Angabe aller Quellen) ; ergänzend :
Servais-Soyez (1981) 222-29.

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