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Bode, Wilhelm
Die italienische Plastik — Handbücher der Königlichen Museen zu Berlin, [Band 1]: Berlin, 1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.16233#0029
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Niccolo Pisano.

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ersten Ergreifen seiner Aufgabe am gröfsten und freiesten er-
scheint, in seinen späteren Arbeiten zum Teil handwerksmäfsiger
und manierirter wird. Verhängnisvoll war ihm in seinem
Streben der Umstand, dafs seine klassischen Vorbilder, zumeist
Sarkophagreliefs, welche heute noch im Campo Santo zu Pisa
erhalten sind, schon der Zeit des tiefen Verfalls der antiken
Kunst angehören, dafs sie handwerksmäfsige Nachbildungen aus
dritter und vierter Hand nach unverstandenen Originalen sind.
Die Eigentümlichkeiten dieser antiken Vorbilder finden sich daher
auch bei Niccolo: das starke Hochrelief, die_ Ueberfüllung der
Kompositionen, die ungleichen Verhältnisse der Figuren unter
einander wie die derbe, untersetzte Bildung derselben, die
dicken gleichmäfsigen Stoffe der Gewänder mit antikem Schnitt
und der einförmige brüchige Faltenwurf, die starke Anwendung
des Bohrers und die Vorliebe für das Stehenlassen der Bohr-
löcher, namentlich in den Haaren. Mit jenen Vorbildern hat er
dafür auch die Schönheit der Formen und die Gröfse der Er-
scheinung gemein; seine Madonna ist eine thronende Juno, seine
Könige in der »Anbetung« erscheinen wie antike Göttergestalten,
sein Priester in der »Darstellung im Tempel« ist die Gestalt
des indischen Bacchus, und unter den Tugenden finden wir, als
Stärke, einen nackten Herkules. Je mehr sich der Künstler der
Antike nähern kann, je direkter er aus ihr seine Gestalten ent-
nimmt, desto gröfser und tüchtiger erscheint er; je mehr sich
dagegen das Motiv von der Antike entfernt, desto geringer sind
regelmäfsig seine Leistungen. Dies zeigt sich namentlich in den
Darstellungen der Passion Christi. In solchen Kompositionen
macht sich auch der Mangel an dramatischem Sinn und die
Leere in Ausdruck und Empfindung als Folge jenes engen An-
schlusses an die Antike am stärksten geltend.

Urkundlklxbegegnen -wir-Nieeelo Pisana,zuerst an-4e^-Kangd
im Baptisterium zu Pisa, die_ex_j26o vollendete; nach dem
Charakter der Arbeit und dem Gange seiner späteren Beschäfti-
gung ist es aber sehr wahrscheinlich, dafs die Skulpturen am
Domportal in Lucca der Pisaner Kanzel vorausgehen, also etwa
um die Mitte des Jahrhunderts entstanden. Am Architrav sind
(leider sehr zerstört) die Verkündigung, die Anbetung der Hirten
und die Könige aus dem Morgenlande vereinigt; so klar und
ausdrucksvoll wie in keiner seiner späteren Darstellungen dieser
Motive. Die Abnahme vom Kreuz im Tympanon ist in der An-
ordnung im Raum, in den Proportionen, in der grofsen, teil-
weise selbst tiefen Empfindung die bedeutendste Schöpfung des
Niccolo.

In der Kanzel zu Pisa fällt diesen Arbeiten gegenüber der
engere Anschlufs an die antiken Vorbilder, in seinen Vorzügen
und Nachteilen, ins Auge. Was über den Künstler im All-
gemeinen gesagt ist, gilt für dieses sein Hauptwerk im Be-

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