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Die Protorenaissance.
sonderen. Wenn ihm Mangel an Innerlichkeit und Tiefe der
Empfindung in den einzelnen Darstellungen vorgeworfen werden
mufs und uns dadurch die Auffassung als eine wenig kirchliche
erscheint, so ist dafür die Kanzel in dem Zusammenhang der
Darstellungen, in dem Ideengehalt ihres Bilderschmuckes um so
mehr durchdacht, um so tiefer und gewaltiger. Das Evangelium
von der Erlösung ist der Grundgedanke, der in allen seinen
Teilen hier zum ersten Mal völlig klar durchgeführt ist, von
den Verheifsungen durch die Propheten an, dann in den ein-
zelnen geschichtlichen Thatsachen bis zu den Wirkungen, die
in den Gestalten der christlichen Tugenden verkörpert sind und
in den Tieren als Träger der Säulen und Lesepulte ihren
symbolischen Ausdruck erhalten. Der Inhalt der Predigt, für
welche die Kanzel geschaffen ist, ist wohl nie wieder so ein-
dringlich der gläubigen Gemeinde bildnerisch zur Anschauung
gebracht worden.
Der Kanzel in Pisa soll der Figurenschmuck am Marmor-
schrein des hl. Dominicus in S. Domenico zu Bologna gefolgt
sein; die Reliefs mit Darstellungen aus dem Leben des Heiligen
wurden bis 1267 fertig gestellt. Auf die Besichtigung aus der
Nähe berechnet, sind sie gleichmäfsiger, ja fast zu zierlich durch-
geführt und glücklicher in den Verhältnissen; sie bleiben auch
einfacher in der Auffassung, was wohl die Aufgabe von Dar-
stellungen aus der Zeitgeschichte mit sich brachte. Niccolo stand
bei der Arbeit ein junger Schüler, Fra Guglielmo, zur Seite; der
abweichende Charakter der Bildwerke macht es sogar nicht un-
wahrscheinlich, dafs Guglielmo dieselben allein ausführte.
Noch vor Beendigung dieses Monuments übernahm Niccolo
wieder die Ausführung einer Kanzel; die für den Dom von Siena,
welche er in der aufserordentlich kurzen Zeit zwischen dem
März 1266 und dem November 1268 fertigstellte. Als Gehülfen
Niccolo's werden Arnolfo, Lapo und Donato schon im Kontrakt
namhaft gemacht und die Beschäftigung seines noch nicht er-
wachsenen Sohnes Giovanni wurde ihm freigestellt. Der archi-
tektonische Aufbau wie der Ideengang in den Darstellungen
(die hier um zwei Relieftafeln bereichert sind, weil die Kanzel
achteckig ist) bleibt im Wesentlichen der gleiche wie in Pisa;
doch macht sich in diesen Kompositionen die Uberfüllung mit
Figuren, der Mangel an Klarheit im Aufbau und eine ungleich-
mäfsigere Durcharbeitung empfindlich geltend, und es fehlt den
Gestalten meist die klassische Gröfse der Erscheinung, welche
in jener ersten Kanzel so überraschend wirkt. Dafür sind die
Köpfe hier jedoch ausdrucksvoller, die Figuren richtiger in den
Verhältnissen und naturwahrer, die Scenen lebendiger und be-
wegter als in Pisa.
Wenn hier schon der abweichende Charakter durch die
verschiedenen Mitarbeiter Niccolo's wesentlich mit bedingt sein
Die Protorenaissance.
sonderen. Wenn ihm Mangel an Innerlichkeit und Tiefe der
Empfindung in den einzelnen Darstellungen vorgeworfen werden
mufs und uns dadurch die Auffassung als eine wenig kirchliche
erscheint, so ist dafür die Kanzel in dem Zusammenhang der
Darstellungen, in dem Ideengehalt ihres Bilderschmuckes um so
mehr durchdacht, um so tiefer und gewaltiger. Das Evangelium
von der Erlösung ist der Grundgedanke, der in allen seinen
Teilen hier zum ersten Mal völlig klar durchgeführt ist, von
den Verheifsungen durch die Propheten an, dann in den ein-
zelnen geschichtlichen Thatsachen bis zu den Wirkungen, die
in den Gestalten der christlichen Tugenden verkörpert sind und
in den Tieren als Träger der Säulen und Lesepulte ihren
symbolischen Ausdruck erhalten. Der Inhalt der Predigt, für
welche die Kanzel geschaffen ist, ist wohl nie wieder so ein-
dringlich der gläubigen Gemeinde bildnerisch zur Anschauung
gebracht worden.
Der Kanzel in Pisa soll der Figurenschmuck am Marmor-
schrein des hl. Dominicus in S. Domenico zu Bologna gefolgt
sein; die Reliefs mit Darstellungen aus dem Leben des Heiligen
wurden bis 1267 fertig gestellt. Auf die Besichtigung aus der
Nähe berechnet, sind sie gleichmäfsiger, ja fast zu zierlich durch-
geführt und glücklicher in den Verhältnissen; sie bleiben auch
einfacher in der Auffassung, was wohl die Aufgabe von Dar-
stellungen aus der Zeitgeschichte mit sich brachte. Niccolo stand
bei der Arbeit ein junger Schüler, Fra Guglielmo, zur Seite; der
abweichende Charakter der Bildwerke macht es sogar nicht un-
wahrscheinlich, dafs Guglielmo dieselben allein ausführte.
Noch vor Beendigung dieses Monuments übernahm Niccolo
wieder die Ausführung einer Kanzel; die für den Dom von Siena,
welche er in der aufserordentlich kurzen Zeit zwischen dem
März 1266 und dem November 1268 fertigstellte. Als Gehülfen
Niccolo's werden Arnolfo, Lapo und Donato schon im Kontrakt
namhaft gemacht und die Beschäftigung seines noch nicht er-
wachsenen Sohnes Giovanni wurde ihm freigestellt. Der archi-
tektonische Aufbau wie der Ideengang in den Darstellungen
(die hier um zwei Relieftafeln bereichert sind, weil die Kanzel
achteckig ist) bleibt im Wesentlichen der gleiche wie in Pisa;
doch macht sich in diesen Kompositionen die Uberfüllung mit
Figuren, der Mangel an Klarheit im Aufbau und eine ungleich-
mäfsigere Durcharbeitung empfindlich geltend, und es fehlt den
Gestalten meist die klassische Gröfse der Erscheinung, welche
in jener ersten Kanzel so überraschend wirkt. Dafür sind die
Köpfe hier jedoch ausdrucksvoller, die Figuren richtiger in den
Verhältnissen und naturwahrer, die Scenen lebendiger und be-
wegter als in Pisa.
Wenn hier schon der abweichende Charakter durch die
verschiedenen Mitarbeiter Niccolo's wesentlich mit bedingt sein