252 Architektur des Zeustempels.
ein organisch erwachsener Leib, völlig fertig aus dem Schoosse der Erde
gestiegen — nein! ein Göttergeschenk aus olympischen Höhen auf den
Burghügel von Attika herniedergeschwebt ist.
Bei dem Anschauen des olympischen Tempels geht der Blick nicht
so vollständig in dem Ganzen auf; die Detailbildung drängt sich zwar
nicht vor, aber sie macht sich doch noch bemerkbar. Man sieht es noch,
wie diese straffen gewaltigen Säulen emporwachsen, wie sicher und fest-
gefügt die mächtigen Architravblöcke auf ihnen ruhen, wie die schmalen
Triglyphen des Frieses dem leichten Kranzleisten gefällige Stützen ge-
währen, je eine über jeder Säule und über jedem Zwischenraum. Darüber
breitet sich schirmend das Giebeldach, das Aetoma, den Adlersfittigen
gleich, nach denen es seinen Namen trägt.
Bei einem. Vergleiche des olympischen Tempels mit dem Parthenon
ist der erstere in) erheblichem Nachtheile durch die Verschiedenheit der
Erhaltung ihrer Ruinen. Von diesem ragen die herrlichen Fronten mit
der goldigen Patina ihrer Säulen noch hoch hinauf in die blaue Luft;
dort bezeichnen nur noch armselige Stümpfe die Stelle, wo sich die
stolzen Hallen und Mauern erhoben (vgl. Taf. II). Wer mithin bei einem
Vergleiche der beiden Schöpfungen nicht ungerecht gegen Meister Libon
verfahren will, der muss bei beiden nur die in gleicher Manier herge-
stellten Zeichnungen mit einander concurriren lassen.
Wer so eine der zahlreichen Abbildungen des Parthenon mit der
Darstellung des Zeustempels vergleicht, dem wird nicht verborgen bleiben,
dass die grössere Anmuth, Zartheit und Eleganz freilich auf Seiten des
attischen Werkes zu finden ist, dass aber aus der Erscheinung des
olympischen Heiligthumes ein weit tieferer Ernst, eine königlichere Würde
und göttlichere Heiligkeit spricht, als aus jenem. Nach dieser Seite hin
steht der olympische Zeustempel unübertroffen da, der König unter den
Tempeln, wie sein Bewohner der König war unter den Göttern.
An diesem mächtigen Eindruck seiner äusseren Erscheinung trug
einen erheblichen Antheil der bildnerische Schmuck der beiden Giebel-
felder und der zwölf Metopentafeln der Friese über dem Pronaos und
dem Opisthodome. Ein nicht hoch genug zu preisendes Geschick hat
uns die Ueberbleibsel dieser Sculpturen in so reichlicher Fülle wieder-
auffinden lassen, dass wir über die Compositionen der beiden Giebel-
felder völlig ins Klare kommen können, und dass auch von den Metopen
die Mehrzahl erkennbar ist.
In den Bauten von Hellas ist der figürliche Schmuck nicht wie
vielfach in unseren Tagen eine blosse Beigabe, die man beliebig hinzu-
ein organisch erwachsener Leib, völlig fertig aus dem Schoosse der Erde
gestiegen — nein! ein Göttergeschenk aus olympischen Höhen auf den
Burghügel von Attika herniedergeschwebt ist.
Bei dem Anschauen des olympischen Tempels geht der Blick nicht
so vollständig in dem Ganzen auf; die Detailbildung drängt sich zwar
nicht vor, aber sie macht sich doch noch bemerkbar. Man sieht es noch,
wie diese straffen gewaltigen Säulen emporwachsen, wie sicher und fest-
gefügt die mächtigen Architravblöcke auf ihnen ruhen, wie die schmalen
Triglyphen des Frieses dem leichten Kranzleisten gefällige Stützen ge-
währen, je eine über jeder Säule und über jedem Zwischenraum. Darüber
breitet sich schirmend das Giebeldach, das Aetoma, den Adlersfittigen
gleich, nach denen es seinen Namen trägt.
Bei einem. Vergleiche des olympischen Tempels mit dem Parthenon
ist der erstere in) erheblichem Nachtheile durch die Verschiedenheit der
Erhaltung ihrer Ruinen. Von diesem ragen die herrlichen Fronten mit
der goldigen Patina ihrer Säulen noch hoch hinauf in die blaue Luft;
dort bezeichnen nur noch armselige Stümpfe die Stelle, wo sich die
stolzen Hallen und Mauern erhoben (vgl. Taf. II). Wer mithin bei einem
Vergleiche der beiden Schöpfungen nicht ungerecht gegen Meister Libon
verfahren will, der muss bei beiden nur die in gleicher Manier herge-
stellten Zeichnungen mit einander concurriren lassen.
Wer so eine der zahlreichen Abbildungen des Parthenon mit der
Darstellung des Zeustempels vergleicht, dem wird nicht verborgen bleiben,
dass die grössere Anmuth, Zartheit und Eleganz freilich auf Seiten des
attischen Werkes zu finden ist, dass aber aus der Erscheinung des
olympischen Heiligthumes ein weit tieferer Ernst, eine königlichere Würde
und göttlichere Heiligkeit spricht, als aus jenem. Nach dieser Seite hin
steht der olympische Zeustempel unübertroffen da, der König unter den
Tempeln, wie sein Bewohner der König war unter den Göttern.
An diesem mächtigen Eindruck seiner äusseren Erscheinung trug
einen erheblichen Antheil der bildnerische Schmuck der beiden Giebel-
felder und der zwölf Metopentafeln der Friese über dem Pronaos und
dem Opisthodome. Ein nicht hoch genug zu preisendes Geschick hat
uns die Ueberbleibsel dieser Sculpturen in so reichlicher Fülle wieder-
auffinden lassen, dass wir über die Compositionen der beiden Giebel-
felder völlig ins Klare kommen können, und dass auch von den Metopen
die Mehrzahl erkennbar ist.
In den Bauten von Hellas ist der figürliche Schmuck nicht wie
vielfach in unseren Tagen eine blosse Beigabe, die man beliebig hinzu-