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Bohn, Richard
Die Propylaeen der Akropolis zu Athen — Berlin u.a., 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.675#0035
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hätte. Dagegen sprach jedoch die Ausdehnung der die viac tragenden
Hängeplatten, welche bis zur Ante reichen, andererseits auch die Anzahl
der Giebelstücke, welche eine grössere Länge bedingten; so konnte der
First, eine allerdings seltene Eigentümlichkeit, nur über die Axe der zweiten
Säule gelegt werden [vgl. Taf. XVIII, welche den Rekonstruktionsversuch
giebt]. Von diesem Punkt aus lief dann, durch die auf dem Mittel- und
links anschliessenden Block befindliche Abschrägung angedeutet, die First-
linie nach der Südostecke der Halle, so dass sich von da an das Dach
nach Nordost und Südwest senkte; dem entspricht auch der steigende
Einschnitt an der Ostwand, während derselbe an der Südwand nicht mehr
in situ ist. Wie das Dach dann über dem vorspringenden Pfeiler ver-
drückt war, lässt sich nicht mehr nachweisen.

Eine solche Lösung mag ungewöhnlich erscheinen, doch ist sie
durch die abweichende eigenartige Grundrissgestaltung bedingt; denn diese
erforderte eine komplizierte Dachanlage. Befremden darf uns solches aber
nicht, namentlich wenn wir damit in Vergleich ziehen, wie auch in der
Mittelhalle die verschiedenen Höhen der Gesimse und Dachneigungen
aneinanderstossen, wie ferner das Dach auf der Nordhalle der Erechtheion
konstruiert gewesen sein muss. Ist nun aber der Giebel an der Südhalle
gesichert, so darf man an der Nordhalle gleichfalls entsprechend einen
solchen voraussetzen. Derselbe muss beim Bau der Kanzlei abgebrochen
und vielleicht zu Kalk verbrannt worden sein; ich habe wenigstens kein
Stück davon unter den Trümmern daselbst finden können. Die Firstlinie
bestimmt sich dort leicht; sie ist geknickt, der eine Schenkel von der Nord-
spitze des Giebels, der andere von der Mitte der Ostwand ausgehend;
wo beide zusammentreffen, läuft nach der Südostecke eine Kehle, nach
der Nordwestecke ein Grat; es bilden sich also ein Giebel, zwei Wahne
und eine hohe Wand. Denn über der Nordwand können wir nicht auch
noch einen rückseitigen Giebel annehmen.

Ich glaube so in dem Vorstehenden alle die Momente berück-
sichtigt zu haben, welche für die Rekonstruktion des Südflügels ent-
scheidend sind.- Es ist eine Lösung, welche eine Reihe von Motiven
bietet, die bisher einzig in ihrer Art dastehen, speziell bei einem Bau
des fünften Jahrhunderts, aber höchst lehrreich für die baugeschichtliche
Kenntniss dieser Periode sind. Wir sehen, mit welcher kühnen Freiheit
der Architekt die Formen behandelte, wenn es galt, bestimmte durch
die lokalen Verhältnisse gegebenen Schwierigkeiten in der Disposition
zu überwinden.

Allerdings kann es nicht zweifelhaft erscheinen, dass eine solche
Lösung nicht etwa von vornherein im Projekt gelegen habe. Was sie
bedingte, muss während des Baues eingetreten sein. Diese Annahme beruht
nicht so sehr auf dem freistehenden Nordwestpfeiler, der ja auch durch
die vorüberführende ältere Burgmauer mit bestimmt sein konnte, sondern
namentlich auf der Südwestante. Ihre Form einerseits, ferner der Um-
stand, dass sie nicht nach innen, vielmehr nach aussen überneigt, weist
ganz bestimmt darauf hin, dass sie mit einer anderen gegenüberliegenden
Stütze korrespondieren, mithin vielleicht nur als Einfassung einer nach
Süden gerichteten Durchgangsöffnung dienen sollte. Diese musste fort-
bleiben; man wollte oder konnte aber Manches, was schon fertig war,
nicht mehr ändern; denn so allein erklärt es sich, dass die Epistylbreite
nur 0,503 beträgt, da dieselbe, als notwendige Konsequenz, durch den
nördlichen Antenvorsprung bedingt war; oben war man dann, um eine
grössere Gebälktiefe zu erzielen, genötigt, nach innen auszukragen.
Dem entsprechend musste auch der Mittelpfeiler in seiner eigentüm-
lichen Form, mit der Ante einerseits korrespondierend, aber auch der
oberen Auskragung als Stütze dienend, angelegt werden. Alles dieses
ist ein durch die Notwendigkeit gebotener Ausweg. Jedoch im ursprüng-
lichen Plan kann solches niemals gelegen haben.

Doch wodurch wurde jene Beschränkung diktiert? Als der west-
liche Stirnpfeiler des Krepidoma angelegt wurde, bestand noch jene ältere
schräge Begrenzung des Nikepyrgos, wie sie durch die Mauer gegeben
ist, sonst hätte derselbe nicht durch seine Vorsprünge, als nach drei
Seiten freistehend, charakterisiert werden können. Vielleicht war auf dem
Pyrgos von Alters her ein Heiligtum, ein Altar, ohne dass seine Form
und Lage näher bestimmt werden könnte. Hoffte der Architekt der
Propyläen von diesem Pyrgos so viel abschneiden zu können, um den

Südflügel in einer dem Nordflügel entsprechenden Weise vorspringen zu
lassen, und hinderte ihn priesterliches Gebot daran, welches den Opfer-
platz ungeschmälert bestehen lassen wollte, ja welches sogar während
des Propyläenbaues den Beschluss durchsetzte, diesen Pyrgos zu einer
Kultstätte der Athena Nike zu machen und der Göttin einen Tempel mit
einer geräumigen Thymele davor zu errichten1.

Versuchte nun der Architekt aus diesen verschiedenen Bedingungen,
aus der gegebenen Situation, aus dem bereits der Vollendung sich nähern-
den Südflügel, aus den Forderungen des Kultus einen Kompromiss zu
schliessen, gestaltete eben den Nikepyrgos, wie er sich fast unversehrt
bis jetzt erhalten, mit seinem Tempel, seine Thymele und modifizierte
darnach den westlichen Abschluss des Südflügels?

Auf alle diese Fragen, soweit sie den Bauplan behandeln, ant-
wortet der Zustand des Denkmals unbedingt mit ja und macht auch
die vorerwähnten Gründe, welche die Veränderung veranlassten, wenigstens
in hohem Maasse wahrscheinlich2.

Wir sind somit bereits auf den Nikepyrgos geführt worden und
wollen denselben deshalb auch im Anschluss hieran behandeln.

NIKEPYRGOS.

Über seine ursprüngliche Nord- und Westgrenze haben wir schon
oben gesprochen; auch seine südliche wird ungefähr mit der jetzigen
zusammengefallen sein. Er bestand noch so, als man den Stirnpfeiler
des Krepidoma am Südflügel anlegte, aus den oben hervorgehobenen
Gründen; sämmtliche Quadern des letzteren haben den Werkzoll mit
glattem Randbeschlag, aus einigen schauen nach Westen noch die stehen-
gebliebenen Versatzungsbossen hervor. Auch die Höhe des Pyrgos war
geringer, ich erinnere nur an den stark abgenutzten Stein der Mauer
[vgl. II, pag. 15 ]. Der Umbau machte die Erhöhung bis zu dem jetzigen
Niveau notwendig; die schräge Nordwand aber hätte störend sein müssen;
deshalb verlängerte man einfach die Flucht des Krepidoma von der Süd-
halle, legte also die Nordwand des Pyrgos parallel mit der Propyläen-
längsaxe. Auf diese Weise wurde das Plateau in seinem östlichen Teile
vergrössert, in seinem westlichen koupiert; denn wir haben ja, wie bereits
anfangs erwähnt, noch den Punkt, wo beide Linien, die ältere und neuere
Grenze, sich schneiden. In dieser Richtung der Nordwand liegt allein
schon ein Grund, dass dieselbe nur im Anschluss an die Propyläen ent-
standen sein kann, nicht aber bereits vorhanden gewesen und etwa auf
die Orientierung der Propyläen bedingend eingewirkt habe. Ihre Aus-
dehnung vom Stirnpfeiler aus gerechnet beträgt 10,240, ihre Höhe über
dem gewachsenen Felsen an der Nordwestecke 8,60, aus 18 Schichten
bestehend, deren Anzahl aber nach Osten hin mit dem steigenden Terrain
abnimmt. Die Schichthöhe beträgt mit kleinen Abweichungen in medio
0,460; das Material ist poröser aber ziemlich fester Piräusstein. Soweit
die Fläche zur Ansicht bestimmt war, wechseln regelmässig Binder mit
Läuferschichten ab von 0,613 resp. 1,226 Länge. An dem östlichen Teile
sind aber die Binderstirnen häufig nur durch einige Millimeter tief ein-
geritzte Scheinfugen als solche charakterisiert, während es in Wirklichkeit
Läuferblöcke sind; da dieses aber nur im Osten auftritt, auch erst von
der fünften Schicht von oben gerechnet abwärts, so können wir den
Grund nur in der gerade dort dahinter entlang laufenden älteren Stein-
mauer erkennen, welche tiefer eingreifende Binder nicht gestattete; denn
sobald der Schnittpunkt überschritten, hört es auf; der Techniker half
sich also durch diese Pseudofugen, um ein regelmässiges Aussehen zu

1 Ich bemerke, dass die Ansichten, ob von jeher hier ein Kultplatz gewesen oder
nicht, geteilt sind; die Mehrzahl hat sich wol für die erstere Annahme ausgesprochen,
und auch ich bin geneigt, mich dem anzuschliessen; denn ich vermag nicht einzusehen,
was angeführt worden, dass ein Altar oder dgl. die Widerstandsfähigkeit des geräumigen
Pyrgos, gemäss seiner ursprünglichen Bestimmung, wesentlich hätte beschränken können,
und dass Kultstätte und verteidigungsfähige Bastion sich gegenseitig ausschlössen.

* Ebenso urteilt L. Julius in seiner Schrift: Ober den Südfiügel der Propyläen
und den Tempel der Athena Nike in den Mitteilungen des Deutschen Archäolog. Instituts
in Athen. Jahrg. 1876. Heft HI, pag. 216 ff. Wenngleich daselbst die Beweise und
namentlich die Details nicht in ihrem ganzen Umfange erschöpft sind, und sich in der
Bestimmung der Stützen einige Unsicherheit zeigt, so ist es doch das hohe Verdienst
des Verfassers, den Gedanken des Abschlusses des Südflügels und seines Verhältnisses
zum Niketempel gegenüber allen früheren irrtümlichen Auffassungen zuerst richtig er-
kannt und bestimmt zu haben.
 
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