78 Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klosters und die Fälschungen des Odalrich.
verschieden; wir hören von Schutz, Jurisdiktion, Abtsweihe in Rom etc. Von derselben Zeit an
beginnt die Verleihung bischöflicher Insignien an die Äbte, ebenfalls in wechselndem Umfang1).
Was die Reichenau betrifft, so erhielt bereits Abt Alavich bei einer Romfahrt im Gefolge Ottos III.
[998] auf Verwendung des Kaisers von Gregor V. umfassende Vorrechte2). Das Kloster wurde in
den besonderen Schutz des römischen Stuhles genommen, der Abt soll wie ein Bischof nur vom
Papst geweiht werden3), und darf ßich beim Zelebrieren der bischöflichen Dalmatika und Sandalen
bedienen; dem Bischof war somit jede Gelegenheit genommen, in die Bestellung des Abtes ein-
zugreifen. Eine Erweiterung dieser Privilegien geschah durch Johann XIX. im Jahre 1032. Die
Exemption vom Diözesanbischof wurde freilich auch dadurch nicht vollständig gemacht, daß dem
Kloster gestattet ward, Weihe der Mönche und Kleriker, Chrisma und Öl von jedem beliebigen
Bischof zu erbitten1); der Bischof Warman von Konstanz war aber, wie uns Herrn, conti-, erzählt,
doch so erbost über diese Privilegien, daß er mit Ermächtigung des Kaisers den Abt zwang, cum
sandaliis das Privilegium herauszugeben. Gleichwohl erreichte Abt Ulrich 1049 wieder die Bestätigung
der alten Freiheiten durch Leo IX. [Nr. 76]. Daß dabei noch immer an eine bischöfliche Juris-
diktion nicht gedacht war, ergeben die häufigen Konflikte Abt Ulrichs mit Bischof Gebhard von
Konstanz und die päpstlichen Entscheidungen über diesen Streit: 1089 übertrug der Papst dem
Bischof «episcopalem potestatetn super clerum et populum Augiensis insulae praeter monachos»6),
und als dann 1095 derselbe Abt auf der Synode von Piacenza erschien und nachträglich vom Papst
geweiht wurde, verbot ihm dieser ausdrücklich jegliche derartige Jurisdiktion über Volk und Klerus,
eine Verordnung, welche nach Mißachtung derselben durch Abt Ulrich wiederholt eingeschärft
werden mußte6). — Im Jahre 1159 gesteht dann allerdings Papst Hadrian dem Abt Ulrich IV.
das Recht zu, gegen Ungehorsame eine gültige Exkommunikation auszusprechen7), doch scheint
das nur ein einmaliger Auftrag gewesen zu sein, denn als Innocenz III. im Jahre 1207 in feier-
licher Bulle die Privilegien des Klosters bestätigte, umfaßte diese nur dieselben Rechte, welche
schon 1032 Johann XIX. verliehen hatte8); nur die bischöfliche Kleidung ist hier vollständig
gestattet9). —
Auch zu den erörterten kirchenrechtlichen Verhältnissen nahm der Gustos Odalrich in seinen
Fälschungen keine Stellung; wenn er Karl d. Gr. in einer angeblichen Urkunde von 780 [Nr. 4]
die Exemption vom Bistum Konstanz in karolingischer Weise aussprechen und freie Abtswahl unter
Hervorhebung der bekannten sanior pars zugestehen läßt, so ist nach dem Gesagten ganz offenbar,
daß er damit im XII. Jahrb. keine Wirkung nach außen erzielen wollte oder konnte.
') Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte [Bonn 1844—55] II2, 302 ü'.
2) Nr. 57. 72. 73. . .
3) Nach seiner Wahl hatte seitdem jeder Abt die Konireise anzutreten; so fuhr 1049 Abt Ulrich über Berg
[Herrn, contr.], 1077 Abt Eggehard [Öheim p. 118], 1095 Abt Ulrich II. [ßerthold], 1159 Abt Ulrich IV. [Nr. 84],
nach 1174 Abt Dietheini [Nr. 105].
4) Nr. 74. Die Ehrenrechte des Abts bei Anwesenheit in Koni haben lediglich zeremonielles Interesse; be-
deutungsvoller sind die Gaben, welche hier zuerst für den römischen Stuhl in Anspruch genommen werden: 1 Meß-
buch, 1 Epistel- und 1 Evangelienbuch, und zwei weiße Kosse.
5) Außerdem beauftragt er den Bischof, in seinem Namen den Abt zu ordinieren. Berthold 1089. Jane 5393.
6) Berthold 1095.
') Nr. 84.
8) Daß auch Kirchen- u. Altarweihe von einem fremden Bischof erheischt werden dürfe, gehörte eigentlich
schon zur früheren Formel; nicht ganz bedeutungslos ist der Zusatz, daß der Abt nötigenfalls aus einem fremden
Kloster genommen werden dürfe.
9) Nr. 86: «et missarum sollempnia cum mitra, anulo, cirothecis, subtili, dalmatica et sandaliis celebret». Inful
und King waren eine Vergünstigung Hadrians IV. [1159]. Übrigens erhielt St. Gallen diese Ehrenrechte erst
1247 [St. Gall. U. B. Nr. 898].
verschieden; wir hören von Schutz, Jurisdiktion, Abtsweihe in Rom etc. Von derselben Zeit an
beginnt die Verleihung bischöflicher Insignien an die Äbte, ebenfalls in wechselndem Umfang1).
Was die Reichenau betrifft, so erhielt bereits Abt Alavich bei einer Romfahrt im Gefolge Ottos III.
[998] auf Verwendung des Kaisers von Gregor V. umfassende Vorrechte2). Das Kloster wurde in
den besonderen Schutz des römischen Stuhles genommen, der Abt soll wie ein Bischof nur vom
Papst geweiht werden3), und darf ßich beim Zelebrieren der bischöflichen Dalmatika und Sandalen
bedienen; dem Bischof war somit jede Gelegenheit genommen, in die Bestellung des Abtes ein-
zugreifen. Eine Erweiterung dieser Privilegien geschah durch Johann XIX. im Jahre 1032. Die
Exemption vom Diözesanbischof wurde freilich auch dadurch nicht vollständig gemacht, daß dem
Kloster gestattet ward, Weihe der Mönche und Kleriker, Chrisma und Öl von jedem beliebigen
Bischof zu erbitten1); der Bischof Warman von Konstanz war aber, wie uns Herrn, conti-, erzählt,
doch so erbost über diese Privilegien, daß er mit Ermächtigung des Kaisers den Abt zwang, cum
sandaliis das Privilegium herauszugeben. Gleichwohl erreichte Abt Ulrich 1049 wieder die Bestätigung
der alten Freiheiten durch Leo IX. [Nr. 76]. Daß dabei noch immer an eine bischöfliche Juris-
diktion nicht gedacht war, ergeben die häufigen Konflikte Abt Ulrichs mit Bischof Gebhard von
Konstanz und die päpstlichen Entscheidungen über diesen Streit: 1089 übertrug der Papst dem
Bischof «episcopalem potestatetn super clerum et populum Augiensis insulae praeter monachos»6),
und als dann 1095 derselbe Abt auf der Synode von Piacenza erschien und nachträglich vom Papst
geweiht wurde, verbot ihm dieser ausdrücklich jegliche derartige Jurisdiktion über Volk und Klerus,
eine Verordnung, welche nach Mißachtung derselben durch Abt Ulrich wiederholt eingeschärft
werden mußte6). — Im Jahre 1159 gesteht dann allerdings Papst Hadrian dem Abt Ulrich IV.
das Recht zu, gegen Ungehorsame eine gültige Exkommunikation auszusprechen7), doch scheint
das nur ein einmaliger Auftrag gewesen zu sein, denn als Innocenz III. im Jahre 1207 in feier-
licher Bulle die Privilegien des Klosters bestätigte, umfaßte diese nur dieselben Rechte, welche
schon 1032 Johann XIX. verliehen hatte8); nur die bischöfliche Kleidung ist hier vollständig
gestattet9). —
Auch zu den erörterten kirchenrechtlichen Verhältnissen nahm der Gustos Odalrich in seinen
Fälschungen keine Stellung; wenn er Karl d. Gr. in einer angeblichen Urkunde von 780 [Nr. 4]
die Exemption vom Bistum Konstanz in karolingischer Weise aussprechen und freie Abtswahl unter
Hervorhebung der bekannten sanior pars zugestehen läßt, so ist nach dem Gesagten ganz offenbar,
daß er damit im XII. Jahrb. keine Wirkung nach außen erzielen wollte oder konnte.
') Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte [Bonn 1844—55] II2, 302 ü'.
2) Nr. 57. 72. 73. . .
3) Nach seiner Wahl hatte seitdem jeder Abt die Konireise anzutreten; so fuhr 1049 Abt Ulrich über Berg
[Herrn, contr.], 1077 Abt Eggehard [Öheim p. 118], 1095 Abt Ulrich II. [ßerthold], 1159 Abt Ulrich IV. [Nr. 84],
nach 1174 Abt Dietheini [Nr. 105].
4) Nr. 74. Die Ehrenrechte des Abts bei Anwesenheit in Koni haben lediglich zeremonielles Interesse; be-
deutungsvoller sind die Gaben, welche hier zuerst für den römischen Stuhl in Anspruch genommen werden: 1 Meß-
buch, 1 Epistel- und 1 Evangelienbuch, und zwei weiße Kosse.
5) Außerdem beauftragt er den Bischof, in seinem Namen den Abt zu ordinieren. Berthold 1089. Jane 5393.
6) Berthold 1095.
') Nr. 84.
8) Daß auch Kirchen- u. Altarweihe von einem fremden Bischof erheischt werden dürfe, gehörte eigentlich
schon zur früheren Formel; nicht ganz bedeutungslos ist der Zusatz, daß der Abt nötigenfalls aus einem fremden
Kloster genommen werden dürfe.
9) Nr. 86: «et missarum sollempnia cum mitra, anulo, cirothecis, subtili, dalmatica et sandaliis celebret». Inful
und King waren eine Vergünstigung Hadrians IV. [1159]. Übrigens erhielt St. Gallen diese Ehrenrechte erst
1247 [St. Gall. U. B. Nr. 898].