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Brandi, Karl [Bearb.]
Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei Reichenau (Band 1): Die Reichenauer Urkundenfälschungen: mit 17 Tafeln in Lichtdruck — Heidelberg, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.14855#0097

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Klosterverfassung und -Verwaltung; die Fälschungen des Odalrich.

79

II. Klosterverfassung und -Verwaltung; die Fälschungen des

Odalrich.

Während die Stellung des Klosters nach außen, wie wir sahen, durch Privilegien geregelt
und mehr oder minder scharf umschrieben war, fehlte es an brauchbaren Bestimmungen für die
inneren Verhältnisse des Klosters lange Zeit vollständig. Und doch war auch hier eine Entwicklung
erfolgt, welche mit dem Emporsteigen des Klosters völlig gleichen Schritt hielt und Verhältnisse
gezeitigt hatte, die einer festen Ordnung wohl bedurft hätten. —

Das von Pirmin auf der Reichenau gestiftete Kloster lebte nach der Regel Benedikts*). An
der Spitze der Kongregation stand der Abt2), von dessen Wahl bereits geredet wurde. Über die
Mönche übte derselbe eine unbedingte Disziplinargewalt3). Auch die äußere Verwaltung stand, soweit
sie Exekutive erforderte, zunächst allein bei ihm; nur bei Rechtsgeschäften, welche dem Kloster eine
wirkliehe Verpflichtung auferlegten, war er gehalten, sich mit den Mönchen zu beraten4). Zu seiner
Erleichterung und in seinem Auftrage nahmen an der Leitung und Verwaltung des Klosters
mönchische Beamte teil, welche, wie der Abt, von der Kongregation zu wählen waren und ihr
Amt auf Lebenszeit übernahmen5). Die erste Stelle nach dem Abt und deswegen die etwaige
Vertretung hatte der Propst; auch er war für das ganze Kloster nach innen und außen kompetent
und trat bei der späteren, größeren Selbständigkeit der Mönche an deren Spitze, dem Abt fast ko-
ordiniert0). Der Name Praepositus für den Inhaber dieser Stellung verschwand jedoch allmählich;
schon seit dem XL Jahrh. hieß er bald Decanus, bald Prior7). Je ein Dekan führte ursprünglich
in größeren Klöstern die Aufsicht über bestimmte Abteilungen von Mönchen8); damit hängt es zu-
sammen, daß der «senior decanus» die Hausdisziplin zu überwachen hatte9); bei der starken Abnahme
der Mönchszahl10) beschränkte man sich auf einen Dekan. Neben diesen beiden Aufsichtsbeamten
kennt die Regula für die Wirtschaft nur den Cellerarius11). Mit der überraschenden Mehrung des
klösterlichen Grundbesitzes wurde aber von seinem Geschäftskreis ein Teil nach dem anderen ab-

') Das ist in Karl Martells Stiftungsbrief ausdrücklich gesagt; freilicli ist nicht jedes einzelne Wort dieser
Urkunde sicher verbürgt und die spätere Stiftung Pirmins, Murbach, erhielt eine aus der Ordnung Columbans und
Benedikts gemischte Regel [Löning II, 441]; docli ist die reine Benediktinerregel in deutschen Abteien noch im
Vm, Jahrh. allgemein herrschend geworden.

2) Reg. cap. II. LXIV.

3) Keg. cap. V. XXIII-XXIX.

4) Reg. cap. III; Löning II, 404 tr.

5) Klosterordnung von 817 [M. G. LL. fol. I, 201, 56]: «ut praepositus, decanus, cellerarius de eorum ministerio,
„isi causa utilitatis aut necessitatis, non removeantur».

<■•) Reg. cap. LXV [de praeposito monasterii]; Klosterordnung von 817, 31. Lamprecht I2, 826. — Ks ent-
spricht vollkommen der Stellung des Propstes, wenn ein solcher auch an die Spitze der von einer Abtei abhängigen
Zellen tritt, wie in Ober- und Niederzell auf der Reichenau.

») Braunmüller, Studien u. Mitt. a. d. Ben. Orden, 1883 I, 232 ff., Prior bei Cluniazensern u. Cisterziensern,
aber auch in Stablo [ep. "Wibald. 101. 102]; in den alten Benediktiner Abteien meist Decanus, jedoch verschieden
früh ; in St. Gallen schon saec. IX, auch in Corvey vor s. XII. [nach ep. Wibald. 23. 126]; in Reichenau dagegen steht bis
gegen Ende des XII. Jahrh. ein Propst an der Spitze des Konvents [Nr. 96. 98. 101 von 1166], dann ein Dekan
[Nr. 105 von 1181, 112 ff.]; dazu paßt es, daß vor 1174 Decanus und Praepositus um den Abtsstuhl stritten
[Catalog. abbat.].

8) Reg. cap. XXI.

9) Braunmüller, p. 239; später stellenweise «prior claustralis» genannt,
i") Lamprecht I2, 845.

n) Reg. Cap. XXXI: er soll mild, sorglich und gerecht den ganzen Haushalt leiten.
 
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