84 Die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klosters und die Fälschungen des Ödalrich
und Fehden toben, wenn nur auf der Insel keine Vassailen und Ministerialen saßen, und auch der
Vogt keine Veranlassung mehr hatte, mit seinem wüsten Gefolge auf der Insel zu erscheinen.
An die|es Privileg klammerte sich der Gustos Odalrich an; denn daß dessen Vorschriften
inzwischen nicht beobachtet waren, läßt sich denken; ja wir können bestimmt das Gegenteil be-
haupten, da wir hören, daß im Jahre 1108 der Kardinal Divizo für die Insel einen Landfrieden
erließ, in dem für Todschlag, Fehde, Brandstiftung, Flurfrevel und Raub auf der Insel Vassailen
und Ministerialen mit Lelms- und Eigen-Verlust gedroht wird1). — Mit älteren Immunitätsformeln
vermischt, werden die Bestimmungen Heinrichs IV. vom Fälscher in die Gründungsurkuncle Karl
Martells und das unter den Schutz des Papstes gestellte Privileg Ottos III. eingefügt, mit einer
ausgesprochenen Tendenz gegen den Vogt. Wir erfahren einiges von den gefürchtetsten Belästigungen,
wenn verordnet wird, daß kein Richter oder irgendein Laie die Insel gegen den "Willen von Abt
und Mönchen betreten dürfe, um Gericht zu halten, Herberge zu nehmen, die Hausdiener der
Mönche zu maßregeln2), — oder wenn es eingeschärft wird, daß kein Abt «aut aiiquis suorum
ministrorum» etwas zu Lehen oder Eigentum geben dürfe3); Abt und Mönche sollen über ihre
Knechte Disziplinargewalt, Gericht und Befugnis «in spiritalibus ac in secularibus ligandi et solvendi»
haben; doch, um nicht ungeschützt zu sein, mögen sie nach Wunsch den Kastvogt heranziehen4).
3. JDer klösterliche Haushalt, die P^amilia und das Leben
der ]Mönche.
a. Die Kamera der Brüder.
In der normalen Klosteranlage finden sich im Olaustrum, d. h. im engeren Bezirk der Mönche,
außer Kapitelsaal, Refectorium, Dormitorium, noch ein Cellerarium und die Kamera, zwei Geschäfts-
zimmer der mönchischen Beamten5). Der Cellerarius sorgte für Speise und Trank, der Kamerarius
für Kleidung, "Werkzeuge und ähnlicbe Lebensbedürfnisse. —
Mit den Einkünften der Kamera war es in der Reichenau offenbar schlecht bestellt; nicht
etwa weil sie zunehmend mehr verbrauchte, sondern weil ihr früherer Nutzbesitz ihr geschmälert
war, wie sich aus dem häufigen Verbot gegen Verlehnung der hier in Betracht kommenden Güter
ergiebt. A^or allem interessierte sich der Custos Odalrich für die Villa Rörnang, ein unbedeutendes
Dorf nahe bei Bodman auf der Landzunge zwischen Überlinger- und Untersee gelegen. Er ließ
sie von Karl d. Gr. [Nr. 3. 4} an die Kamera schenken, «vt sutores, pellifices, fullones et alii servi-
tores, dum in eorundem fratrum uestitu occupantur, de fructibus prefat^ uille, pascantur»; und zur
besseren Sicherung mußten dann noch Karl III. [Nr. 32), Arnolf [44] und Heinrich II. [63] die Villa
dem Kloster bestätigen. Diese Servitores oder Operarii [03] mußten eben für die Kamera arbeiten;
die Sutores hatten das Schuhwerk, die Fullones Zeug und vielleicht auch Hüte und Mützen, die
Pellifices die Pelze zu verfertigen0).
officialem familiam, quq infra munitatem cottidie servire debet ad usus fratrum, nulluni habeat potestatem, nisi
prout abbas voluerit et petierit». — Dann aber auch in Kr. 7 für den Keichenauer Vogt: «nulluni domui servientem
dei sine abbat« vel ipsius consensu ad iudicium cogat» — und in mehreren anderen Fälschungen: BM. 767. 768
[Ebersheim], St. 2499 [St. Maximin], was beweist, daß die Vögte sich über solche Beschränkungen gern hinwegsetzten. —
') Öheim p. 126 [Nr. 87]. 2) Nr. 1 u. 58.
3) Nr. 1; von Corvey aus klagt man 1150 einmal an Wibald [Ep. 93]: «villicus [von Immenkhusen] . . solet
enim de praebenda fratrum homines suos inbeneflciare».
4) Nr. 1 und auch in Nr. 3. 5) v. Schlosser, a. a. 0. p. 53 11'.
6) Vergl. d. etwa 1190 abgefaßten: Constitutiones Wernheri Abbatis [von Einsiedeln; Stud. u. Mitteil. a. d.
Ben. Ord. 1885, II, 330 ff.]: «. . ter in anno calciamenta . . ., pillei ex optimis agninis pelliculis secundo anno,
pellicia quoque singulis annis, tunice vero et cuculle prout necessitas expostulaverit ex eleganti niateria decehti-
que forma . .». —
und Fehden toben, wenn nur auf der Insel keine Vassailen und Ministerialen saßen, und auch der
Vogt keine Veranlassung mehr hatte, mit seinem wüsten Gefolge auf der Insel zu erscheinen.
An die|es Privileg klammerte sich der Gustos Odalrich an; denn daß dessen Vorschriften
inzwischen nicht beobachtet waren, läßt sich denken; ja wir können bestimmt das Gegenteil be-
haupten, da wir hören, daß im Jahre 1108 der Kardinal Divizo für die Insel einen Landfrieden
erließ, in dem für Todschlag, Fehde, Brandstiftung, Flurfrevel und Raub auf der Insel Vassailen
und Ministerialen mit Lelms- und Eigen-Verlust gedroht wird1). — Mit älteren Immunitätsformeln
vermischt, werden die Bestimmungen Heinrichs IV. vom Fälscher in die Gründungsurkuncle Karl
Martells und das unter den Schutz des Papstes gestellte Privileg Ottos III. eingefügt, mit einer
ausgesprochenen Tendenz gegen den Vogt. Wir erfahren einiges von den gefürchtetsten Belästigungen,
wenn verordnet wird, daß kein Richter oder irgendein Laie die Insel gegen den "Willen von Abt
und Mönchen betreten dürfe, um Gericht zu halten, Herberge zu nehmen, die Hausdiener der
Mönche zu maßregeln2), — oder wenn es eingeschärft wird, daß kein Abt «aut aiiquis suorum
ministrorum» etwas zu Lehen oder Eigentum geben dürfe3); Abt und Mönche sollen über ihre
Knechte Disziplinargewalt, Gericht und Befugnis «in spiritalibus ac in secularibus ligandi et solvendi»
haben; doch, um nicht ungeschützt zu sein, mögen sie nach Wunsch den Kastvogt heranziehen4).
3. JDer klösterliche Haushalt, die P^amilia und das Leben
der ]Mönche.
a. Die Kamera der Brüder.
In der normalen Klosteranlage finden sich im Olaustrum, d. h. im engeren Bezirk der Mönche,
außer Kapitelsaal, Refectorium, Dormitorium, noch ein Cellerarium und die Kamera, zwei Geschäfts-
zimmer der mönchischen Beamten5). Der Cellerarius sorgte für Speise und Trank, der Kamerarius
für Kleidung, "Werkzeuge und ähnlicbe Lebensbedürfnisse. —
Mit den Einkünften der Kamera war es in der Reichenau offenbar schlecht bestellt; nicht
etwa weil sie zunehmend mehr verbrauchte, sondern weil ihr früherer Nutzbesitz ihr geschmälert
war, wie sich aus dem häufigen Verbot gegen Verlehnung der hier in Betracht kommenden Güter
ergiebt. A^or allem interessierte sich der Custos Odalrich für die Villa Rörnang, ein unbedeutendes
Dorf nahe bei Bodman auf der Landzunge zwischen Überlinger- und Untersee gelegen. Er ließ
sie von Karl d. Gr. [Nr. 3. 4} an die Kamera schenken, «vt sutores, pellifices, fullones et alii servi-
tores, dum in eorundem fratrum uestitu occupantur, de fructibus prefat^ uille, pascantur»; und zur
besseren Sicherung mußten dann noch Karl III. [Nr. 32), Arnolf [44] und Heinrich II. [63] die Villa
dem Kloster bestätigen. Diese Servitores oder Operarii [03] mußten eben für die Kamera arbeiten;
die Sutores hatten das Schuhwerk, die Fullones Zeug und vielleicht auch Hüte und Mützen, die
Pellifices die Pelze zu verfertigen0).
officialem familiam, quq infra munitatem cottidie servire debet ad usus fratrum, nulluni habeat potestatem, nisi
prout abbas voluerit et petierit». — Dann aber auch in Kr. 7 für den Keichenauer Vogt: «nulluni domui servientem
dei sine abbat« vel ipsius consensu ad iudicium cogat» — und in mehreren anderen Fälschungen: BM. 767. 768
[Ebersheim], St. 2499 [St. Maximin], was beweist, daß die Vögte sich über solche Beschränkungen gern hinwegsetzten. —
') Öheim p. 126 [Nr. 87]. 2) Nr. 1 u. 58.
3) Nr. 1; von Corvey aus klagt man 1150 einmal an Wibald [Ep. 93]: «villicus [von Immenkhusen] . . solet
enim de praebenda fratrum homines suos inbeneflciare».
4) Nr. 1 und auch in Nr. 3. 5) v. Schlosser, a. a. 0. p. 53 11'.
6) Vergl. d. etwa 1190 abgefaßten: Constitutiones Wernheri Abbatis [von Einsiedeln; Stud. u. Mitteil. a. d.
Ben. Ord. 1885, II, 330 ff.]: «. . ter in anno calciamenta . . ., pillei ex optimis agninis pelliculis secundo anno,
pellicia quoque singulis annis, tunice vero et cuculle prout necessitas expostulaverit ex eleganti niateria decehti-
que forma . .». —