Klosterverfassung und -Verwaltung; die Fälschungen des Odalrich.
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Ansprüche auf Herberge im Kloster und auf das Gericht über die Hausdiener1). Vom X. zum
XII. Jahrb. werden die Klagen über die unerhörten Anmaßungen der Vögte immer allgemeiner2)
und allenthalben macht man zuletzt Versuche, durch kaiserliche Diplome und nötigenfalls durch
Fälschungen Abhilfe zu schaffen3). —
Diesen emporstrebenden Gewalten, Vogt und Ministerialen, gegenüber möchte ich noch einmal
kurz auf die Mönche und ihr Leben zurückkommen, um darauf hinzuweisen, daß im Kloster
nicht einmal der nötige moralische Fond vorhanden war, um jenen rücksichtslosen Kriegern auch
nur eine gewisse Scheu oder Ehrfurcht abzuzwingen. Die alten Reichsabteien beherbergten schon
hingst nur eine kleine Anzahl hochgeborener Herren4), denen von wirklich mönchischem Geist
wenig mehr inne wohnte; nach und nach konnte ein jeder sein Amt mit dessen gewiesenen Ein-
künften erhalten und das gemeinsame Leben und die alte Klosterzucht verfielen. — Der Abt wurde
ein weltlicher Fürst, wie alle anderen, ein reicher Lehnsherr, dessen unmittelbare Beziehungen zum
Kloster fast ganz abgeschnitten waren5).
So waren die inneren Klosterverhältnisse um die Mitte des XII. Jahrb. durchaus unerfreuliche
und man versteht recht gut, daß sich ein lebhaftes Bedürfnis, wenn nicht nach gründlicher
Reformierung, so doch nach Fixierung des bestehenden Rechts bemerklich machte. Das letztere
unternahm für die Reichenau der Custos Odalrich mit seinen Fälschungen; so thöricht er sich uns
m der formellen Herstellung seiner Schriftstücke gezeigt hatte, — seine sachlichen Festsetzungen
verraten keine üble Einsicht in das, was die Lage erforderte; ihn beschäftigen der Schutz des
Klosters und der Insel, die Leistungen an den klösterlichen Haushalt, Ministerialen und Vögte.
1. Die Immunität der Insel.
Schon im Jahre 1065 hatte König Heinrich IV. in Anbetracht des starken Verfalls des
Klosters demselben für den Bereich der Insel die jüngere Immunität verliehen. Niemand solle auf
ihr ein Recht oder gar Eigentum besitzen, noch dürfe der Abt hinfort auf derselben irgendetwas
zu Eigen oder zu Lehen vergeben; nur die Fischer, Bäcker, Köche, Walker und Winzer der Brüder
sollen sie bewohnen und ihre Erträgnisse allein zum Unterhalt der Mönche dienen6); alle Hoheits-
rechte auf der Insel sollen allein König und Abt üben, wodurch auch der Vogt von ihr aus-
geschlossen war7). Das war ein Privileg nach dem Herzen der Mönche; draußen mochten Unruhen
0 Waitz VII, 252. 359.
») Waitz VII, 352. Vergl. etwa St. 2956. 3232 oder Ep. Wibald. 311: «advocati vestri sunt crudelissimi vasta-
tores et libertatis vestrae iniinicissimi insidiatores». —
3) Waitz VII, 354; besonders ausführlich sind die Vogtsurkunden der Hirschauer Klöster [A. Naude, Die
Fälschung der ältesten Reinhardsbrunner Urkunden. Berlin. 1883. 8». Exkurs]; Wirt. ü. 13. I, 276 [für Hirschau
selbst], dann St. 3026. 3041. 3072. 3106. 3116. 3186. 3189. 3197. 3204. 3538; außerdem St. 3405 für Wibald von Stablo.
•*) Vergl. Üheim p. 165: «Zu wissen, das in disem wyrdigen gotzhus und küngklichen münster Reychenow
Dichte dann fürsten, graven, freyen, herren etc. und nit wenigere oder mynders standtz pereonen gewesen sind, bis
zü der zyt, als man zalt v. d. G. Chr. MCCCCXXXIII jar, under apt Fryderichen von Wartenberg. Der mim
edler lüt kinder in den orden», — und das Verzeichnis der «Cappitel oder Convent-herren der Rychenow» p. 168.
Mit dieser exklusiven Haltung des Konvents hängt sowohl die geringe Zahl der Mönche, wie ein scharfer ständischer
Gegensatz zur Ministerialität unmittelbar zusammen. _
6) Vergl. die Datierung von Nr. 107, 112 [1184. 1187]: «in palatio nostro Augiae» und der Urk. Abt Konrads
von 1252: «Actum in unserm Schloß Megdeberg» [Oheim p. 139J. —
6) «omnia ad usum fratrum nostrumque servicium conservare»; ist diese Erwähnung des servicium nicht
formelhaft, so wird sich dasselbe auf den Königsbesuch im Kloster beziehen, für den in Nr. 58, wie ich meine, nach
echtem Privileg die Bestimmung getroffen ist: «ob aber von andachts wegen oder von dem Abbt dahin geladet,
ainicher kerne, denocht was und wie im liflrung geschäche, gölte söllicher mit dank annemen und benügig ston».
•) Die familia intus war eben fast überall seiner Gerichtsbarkeit entzogen, Waitz VIII, 53. 56; so Konrad III.
für Corvev [St. 3568] oder Lothar III. für das benachbarte Einsiedeln [St. 3309]: «ut eiusdem loci advocatus super
U*
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Ansprüche auf Herberge im Kloster und auf das Gericht über die Hausdiener1). Vom X. zum
XII. Jahrb. werden die Klagen über die unerhörten Anmaßungen der Vögte immer allgemeiner2)
und allenthalben macht man zuletzt Versuche, durch kaiserliche Diplome und nötigenfalls durch
Fälschungen Abhilfe zu schaffen3). —
Diesen emporstrebenden Gewalten, Vogt und Ministerialen, gegenüber möchte ich noch einmal
kurz auf die Mönche und ihr Leben zurückkommen, um darauf hinzuweisen, daß im Kloster
nicht einmal der nötige moralische Fond vorhanden war, um jenen rücksichtslosen Kriegern auch
nur eine gewisse Scheu oder Ehrfurcht abzuzwingen. Die alten Reichsabteien beherbergten schon
hingst nur eine kleine Anzahl hochgeborener Herren4), denen von wirklich mönchischem Geist
wenig mehr inne wohnte; nach und nach konnte ein jeder sein Amt mit dessen gewiesenen Ein-
künften erhalten und das gemeinsame Leben und die alte Klosterzucht verfielen. — Der Abt wurde
ein weltlicher Fürst, wie alle anderen, ein reicher Lehnsherr, dessen unmittelbare Beziehungen zum
Kloster fast ganz abgeschnitten waren5).
So waren die inneren Klosterverhältnisse um die Mitte des XII. Jahrb. durchaus unerfreuliche
und man versteht recht gut, daß sich ein lebhaftes Bedürfnis, wenn nicht nach gründlicher
Reformierung, so doch nach Fixierung des bestehenden Rechts bemerklich machte. Das letztere
unternahm für die Reichenau der Custos Odalrich mit seinen Fälschungen; so thöricht er sich uns
m der formellen Herstellung seiner Schriftstücke gezeigt hatte, — seine sachlichen Festsetzungen
verraten keine üble Einsicht in das, was die Lage erforderte; ihn beschäftigen der Schutz des
Klosters und der Insel, die Leistungen an den klösterlichen Haushalt, Ministerialen und Vögte.
1. Die Immunität der Insel.
Schon im Jahre 1065 hatte König Heinrich IV. in Anbetracht des starken Verfalls des
Klosters demselben für den Bereich der Insel die jüngere Immunität verliehen. Niemand solle auf
ihr ein Recht oder gar Eigentum besitzen, noch dürfe der Abt hinfort auf derselben irgendetwas
zu Eigen oder zu Lehen vergeben; nur die Fischer, Bäcker, Köche, Walker und Winzer der Brüder
sollen sie bewohnen und ihre Erträgnisse allein zum Unterhalt der Mönche dienen6); alle Hoheits-
rechte auf der Insel sollen allein König und Abt üben, wodurch auch der Vogt von ihr aus-
geschlossen war7). Das war ein Privileg nach dem Herzen der Mönche; draußen mochten Unruhen
0 Waitz VII, 252. 359.
») Waitz VII, 352. Vergl. etwa St. 2956. 3232 oder Ep. Wibald. 311: «advocati vestri sunt crudelissimi vasta-
tores et libertatis vestrae iniinicissimi insidiatores». —
3) Waitz VII, 354; besonders ausführlich sind die Vogtsurkunden der Hirschauer Klöster [A. Naude, Die
Fälschung der ältesten Reinhardsbrunner Urkunden. Berlin. 1883. 8». Exkurs]; Wirt. ü. 13. I, 276 [für Hirschau
selbst], dann St. 3026. 3041. 3072. 3106. 3116. 3186. 3189. 3197. 3204. 3538; außerdem St. 3405 für Wibald von Stablo.
•*) Vergl. Üheim p. 165: «Zu wissen, das in disem wyrdigen gotzhus und küngklichen münster Reychenow
Dichte dann fürsten, graven, freyen, herren etc. und nit wenigere oder mynders standtz pereonen gewesen sind, bis
zü der zyt, als man zalt v. d. G. Chr. MCCCCXXXIII jar, under apt Fryderichen von Wartenberg. Der mim
edler lüt kinder in den orden», — und das Verzeichnis der «Cappitel oder Convent-herren der Rychenow» p. 168.
Mit dieser exklusiven Haltung des Konvents hängt sowohl die geringe Zahl der Mönche, wie ein scharfer ständischer
Gegensatz zur Ministerialität unmittelbar zusammen. _
6) Vergl. die Datierung von Nr. 107, 112 [1184. 1187]: «in palatio nostro Augiae» und der Urk. Abt Konrads
von 1252: «Actum in unserm Schloß Megdeberg» [Oheim p. 139J. —
6) «omnia ad usum fratrum nostrumque servicium conservare»; ist diese Erwähnung des servicium nicht
formelhaft, so wird sich dasselbe auf den Königsbesuch im Kloster beziehen, für den in Nr. 58, wie ich meine, nach
echtem Privileg die Bestimmung getroffen ist: «ob aber von andachts wegen oder von dem Abbt dahin geladet,
ainicher kerne, denocht was und wie im liflrung geschäche, gölte söllicher mit dank annemen und benügig ston».
•) Die familia intus war eben fast überall seiner Gerichtsbarkeit entzogen, Waitz VIII, 53. 56; so Konrad III.
für Corvev [St. 3568] oder Lothar III. für das benachbarte Einsiedeln [St. 3309]: «ut eiusdem loci advocatus super
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