Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brinckmann, Albert E.
Europäische Humanitas: Dürer bis Goya — München: Desch, 1950

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.59481#0196
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— und doch Vergötzung Mächtiger

Meinung. Der König wollte sein Volk freie Luft atmen lassen:
,,Gazetten, wenn sie interessant sein sollen, dürfen nicht genieret
werden.“ „Alle Bücher seindt hier erlaubet zu verkaufen.“
Äußerlich bietet der Fürst immer noch das Bild des absoluten
Souverains von Gottes Gnaden, und in den meisten Fällen dürfte
dies auch seiner geistigen Einstellung entsprochen haben, denn
gerade durch sie gliedert er sich als Persönlichkeit aus der Menge
der Untertanen und Ministerialen aus. Im Porträt des Kur-
prinzen Karl Albrecht von Bayern, das Pierre Goudreaux
malte, erscheint der Prinz als Ritter vom Goldenen Vlies im
zeremoniellen rotsamtenen goldgestickten Rock, mit gepuderter
Knotenperücke und offensichtlich gefärbten Brauen, von einem
kaum mehr überbietbaren Hochmut und etwas weibischer Schön-
heit. Doch wird ebenso ein überkultivierter Einzeltyp deutlich,
dem es auf mehr als nur Machtrepräsentation ankommt: 1742
spielt er die Tragikomödie „Kaiser Karl VII“.
Über die Vergötzung des Machthabers, die ihre Schatten wohl
ständig in die europäische Humanitas werfen wird, und die damit
bewußt und unbewußt verbundene Entmachtung des alten Adels
hat sich schon der Duc de Saint-Simon in seinen Memoires bitter
beklagt (Seite 120). Nach seiner Meinung haben sie dazu bei-
getragen, die wirklich ausgeübte Staatsmacht in die Hände
bürgerlicher Minister und Ministerialen von niederem Rang zu
spielen, was nach Meinung des Duc zum Zerfall von Monarchie
und Staat führen müsse. Er hat nicht unrichtig gesehen, wenn es
sich auch fragt, ob das ausgepoverte Volk unter der Herrschaft
einer Adelskaste, die stets auch eine Militärkaste gewesen ist,
besser gefahren wäre; wozu dann noch der Skeptiker anmerken
dürfte, daß ebendieses Volk wohl nie auch nur zum schlichten
„Gut-Fahren“ kommt, solange über ihm Profitier und Genießer
selbst in Demokratien herrschen.
La Bruyere hat diese Kaste, nun hier genauer: die Clique der Höf-
linge, mit dem ganzen Haß eines auch am Hof des Grand Conde
bürgerlich fühlenden Prinzenerziehers schon vor dem Duc ver-
folgt. „Der Hof“, schreibt er, „gleicht einem Gebäude ausMarmor:
er ist aus harten aber glatt geschliffenen Menschen gebildet. . .

192
 
Annotationen