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Brugsch, Heinrich
Reise nach der grossen Oase El Khargeh in der libyschen Wüste: Beschreibung ihrer Denkmäler — Leipzig, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.3991#0011
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der nächtlichen Abkühlung bis zum Gefrierpunkte hin, ist selbst das leblose, zellenlose Gestein
dem Naturgesetze der endlichen Vernichtung und Zerstörung anheimgefallen, so dass bisweilen
es nur des leisesten Stosses oder Druckes bedarf, um die scheinbar feste Masse in pulver-
förmigen Staub zu zerbröckeln. Das Bild vom Verwesen des Felsens ist eben eine Vor-
stellung, die sich dem Laien beim Anblick der Wüste unwillkürlich aufdrängt. Es gehört
ausserdem eine keinesweges besonders aufgeregte Phantasie dazu, in dem verwitterten mannich-
fach gefärbten Gestein, einem Nummuliteiikalk, oft bis zur bunten, marmorartigen Zeichnung
hin gefärbt, die letzten Reste organischer Wesen zu erkennen, sei es dass sie das Bild in Stein
verwandelter Gebeine riesiger Thierkörper hervorrufen, sei es dass sie der Pflanzenwelt den Ver-
gleich mit gewaltigen Baumstämmen entlehnen, deren Stamm und Aeste der Zahn der Zeit
oder der fressende Wurm durchbohrt und durchlöchert hat. Dazwischen liegend erinnern zahl-
lose duukelgefärbte Steinkugeln, bisweilen einen Meter im Durchmesser haltend und im Bruche
die Anwesenheit eines schwärzlichen Kernes mit strahlenartig ausgehenden Linien zeigend, an
organische Gebilde oder an Werke, von Menschenhand geschaffen, ebenso räthselhaft ihrem
Ursprünge nach als überraschend auf die Sinne wirkend durch gleiche Grösse und regelmässige
Anordnung ihrer Lage in parallelen Reihen.

Wie wirkten grossartige Naturereignisse auf diese sonderbaren Gebilde einer vorweltlichen
Zeit, wann fanden auf unserem Erdballe jene zugleich zerstörenden und schaffenden Revolutionen
statt, in welchen Feuer und Wasser mit einander kämpften und tobten, und jenen todten
Gesteinen Stoff und Form gaben? Nur die Wissenschaft allein wird diese Fragen annähernd
zu lösen im Stande sein, ohne Anfang und Ende ihres Daseins jemals genauer bezeichnen zu
können.

Wenn von der Höhe des Kameelsitzes aus das spähende Auge des wissbegierigen Reisenden
über den steinbedeckten Boden der Wüste dahinschweift und seine Phantasie in den mannich-
fachen Formen der unorganischen Gebilde verwandte Gestalten der ihm zeitlich und räumlich näher
stehenden Welt des Lebens wiederzuerkennen glaubt, da unterbrechen plötzlich gelb schimmernde
Saudmassen den sonst in bräunlichem Glänze schillernden Boden und neue Betrachtungen
geben seinem Gedankenfluge eine andere Richtung. Mit schwerem, aber nichts destoweniger
sicherem Fusse watet das vierbeinige Schiff der Wüste an der leitenden Hand des Führers
durch das trockne Sandmeer, das es indess ängstlich vermeidet, wenn selbst ein noch so steiler
Bergpass in der Nähe ihm die Gelegenheit darbietet die gefürchtet« Sandfluth zu umgehen.
Fast unergründlich wird die Masse des Sandes, wenn wunderlich geformte Hügel in Sattelform
den Weg versperren und ihre hindernde Barre quer vor die Karawanenstrasse legen. Aber
nur fest auf dem Rücken der Naga gesessen; dein geduldiges Thier trägt dich sicher hin-
über, wenn es auch tief bis zu den schwieligen Kuieen in den rollenden Sand versinkt und
nur mühsam, Fussbreite um Fussbreite, sich das Vordringen erkämpft. Bald in weiten halb-
mondförmig gestalteten Bogen, bald in dachartig aufsteigenden Massen dehnt sich des blen-
denden Sandes gewaltige Menge bis zur Berglehne aus, fast immer die eine Hauptrichtung,
von Süden nach Norden, verfolgend. Aber selbst den gefürchteten Sandhügehi fehlt nicht die
Poesie des eigenen Daseins. Das Wehen des Windes, welcher über die Wüste dahinbiäst,
zeichnet der gelben Oberfläche die kunstvollsten Muster auf, die unwillkürlich an die Linien
der vom sanften Zephir bewegten Wasserfläche auf stillen Binnenseen gemahnen.

Der Sand der libyschen Wüste, welcher sporadisch sich an den geschützten Stellen vor-
zulegen und aufzuhäufen pflegt, sei es hinter der grauen, verkrüppelten und stachelblättrigen
Pflanze, sei es hinter der deckenden Felswand oder zwischen einem natürlichen Gebirgspass,
ist kein Geschenk der Wüste, das etwa aus dem zerbröckelten und verwitterten Gestein ent-
 
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