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Brugsch, Heinrich
Reise nach der grossen Oase El Khargeh in der libyschen Wüste: Beschreibung ihrer Denkmäler — Leipzig, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.3991#0015
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kühlen Schatten zu versprechen, aber die eitlen Trugbilder verschwinden, sobald sich der
Gesichtswinkel von unserem Standorte aus ändert.

Die wunderbaren Tinten, mit welchen die strahlende Königin des Tages bei ihrem Auf-
gang und bei ihrem Niedersteigen die welligen Hügel und die gezackten Kämme der Berg-
züge am Horizonte übergiesst, wirken wie Zauberglanz auf das entzückte Auge durch die Zart-
heit ihres Duftes und durch den Wechsel ihrer Uebergänge bis zu den dunklen Schatten hin.
In unbeschreiblicher Pracht und Mannigfaltigkeit fliessen bei untergehender Sonne die durchsichtigen
Farben in einander, bis zuletzt ein matt violetter Abendhimmel den Schluss des erhebenden
und grossartigen Schauspieles bildet. Doch kaum hat sich Frau Sonne zur Ruhe begeben,
da erwartet ein neuer, nicht minder wundervoller Anblick des von der farbenreichen Lichtwelt
geblendeten Auges, denn es zünden sich die ewigen Lichter des Himmels, um den Kreislauf
ihrer Bahnen durch die Nacht zu vollenden. Der leuchtende Sirius, der Führer des altägyp-
tischen Sternenheeres, blinkt uns am südöstlichen Himmel den Abendgruss entgegen, bald auch
erheben sich die Sterne des Orion, zunächst in Gestalt eines funkelnden Kreuzes, während
der Planet Venus ihnen gegenüber aufleuchtet, um als lieblicher Abendstern die Erinnerung an
die Dunkelstunde in der fernen Heimath wachzurufen. Je tiefer die Nacht hereinbricht, je reicher,
je grossartiger wird das Bild des gestirnten wolkenlosen dunkelblauen Himmelsdomes. Immer
neue Wunder, neue Räthsel erschliesst er dem schwelgenden Augenpaar des sinnenden Sohnes
der Erde. Dort wo so eben die Sonne wie eine Königin ihren Tageslauf vollendet hat, hebt
sich plötzlich nach Norden zu eine leuchtende riesengrosse Pyramide am dunklen Abend-
himmel ab. Das Zodiakallicht überrascht uns Kinder des Nordens durch seinen ungewohnten
Anblick. In langen Bogen, wie sprühender Diamautregen, stürzen glänzende feurige Meteore
aus der Höhe nordwärts nieder, um in bläulich schimmerndem Lichte lautlos in Dunkel und
Nichts zu verschwinden. Noch eine kleine Weile und eine glühend rothe Scheibe erhebt sich
majestätisch im Osten. Es ist der Vollmond, mit seinem Lichtglauz die Kämme der langen
Hügelkette vergoldend, welche sich hinter der Karawane wie eine Scheidemauer zwischen uns
und der Welt des Lebens erheben. Ein bleicher Schimmer übergiesst die todten Steine,
gespenstisch starren die wunderlichen Gebilde der unorganischen Welt uns von allen Seiten in
der Bunde entgegen und scheinen riesengross mit langen Schatten zu wachsen und Form und
Gestalt des Lebendigen anzunehmen. So wirkt selbst in dieser erstarrten Welt des Todes,
unter dem Eindruck des Schaurigen, in stetem Wechsel der Erscheinungen die Phantasie auf
die erregten Sinne und schafft gespensterhafte Bilder, wie sie nur im Reich der Träume vor
den Augen des Schlafenden zu erscheinen pflegen.

Der vierte Tag unserer Wüstenreise schloss mit einem ebenso malerischen als anziehenden
Anblick ab. Zu unserer Linken, in der Richtung nach Süden hin, zog sich, einem riesigen
Amphitheater vergleichbar, eine im Halbkreis regelmässig gruppirte Hügelreihe entlang, dass es
fast den Anschein gewauu, als habe die Natur dem Menschen die Wuuderkraft ihrer Thätig-
keit als Künstler in einem Beispiele vor Augen führen wollen. Scheinbar in gleichen Ab-
ständen von einander sprangen pyramideuartig gestaltete Gebirgsglieder in den Vordergrund
hervor, im Hintergrunde zu einem grossen Ganzen vereinigt durch mauerartig eingeschobene
Bergwände. Vor diesem seltsamen Spiele der Natur lagerte sich eine schmale Terrasse, fast
senkrecht abfallend in die Tiefe zu einer breiten Arena mit gelblich schimmerndem Flugsande
bestreut, auf welchem des Windes Wehen die seltsamsten Zeichnungen in flüchtigen Wellen-
linien gezogen hatte; das alles, wie bemerkt, so regelmässig angelegt, als habe die rastlos
schaffende Natur selbst in der Zerstörung und Vernichtung der steinernen Welt nach einem
bestimmten Gesetze verfahren.

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