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Brugsch, Heinrich
Reise nach der grossen Oase El Khargeh in der libyschen Wüste: Beschreibung ihrer Denkmäler — Leipzig, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.3991#0016
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10

Als die Sonne am fünften Morgen unserer Pilgerfahrt über den Horizont emporgestiegen
war, regte sich bei uns allen das Gefühl der Spannung und Erwartung auf das Höchste. Die
grosse Oase konnte nicht mehr fern sein. Die Blicke aller suchten sie in westlicher Richtung.
Aber trotzdem es an dem Gange der Kameele merkbar war, dass die lange Karawane von
Terrasse zu Terrasse niederwärts stieg, versperrten neue Bergwände und Hügelketten die er-
sehnte Aussicht. Tiefe Felsspalten mitten in einem mächtigen Kreidelager, zum Theil mit
fliessendem Sande erfüllt und durch ihre weisse Farbe das erhitzte Auge blendend und er-
müdend, führten von Absatz zu Absatz, bis endlich von der breiten tafelförmigen Anhöhe der
letzten und tiefsten Stufe, einer mit Versteinerungen aller Art übersäten Terrasse, der lang er-
sehnte Anblick der Oase den überraschten Blicken sich darbot.

III.

Der Anblick der Oase. — Der Hauptort El-Khargeh.

Der Katabathmus lag glücklich hinter uns, die Oase streckte sich in der Richtung von
Süd nach Nord in der Tiefe zu unseru Füssen aus. Trotzdem eine längere Wanderung durch
die Wüste das kleinste Stück Erde in grünem Pflanzenschmuck als ein Sinn und Herz er-
freuendes Zeichen des Lebens begrüssen lässt, so erzeugte dessenungeachtet der Anblick der Oase
keinesweges den Eindruck einer besonderen Ueberraschung, denn nur vereinzelte dunklere
Stellen inmitten eines hellen sandigen Bodens, wie „Flecken auf einem Pantherfell", bezeichneten
für das Auge die Vegetation der Oasen-Welt. Die Vorstellung von den „Inseln der Seeligen",
unter welchem Namen die Alten die Oasen nicht selten bezeichneten, schrumpft zu einem
schönen Traume zusammen, dem jede Wirklichkeit fehlt. Der Anblick des Oasen-Gebietes
entwickelte sich nach und nach zu folgendem Gesammtbilde.

Ein etwa anderthalb Meilen breites Thal bildet mitten in der libyschen Wüste einen
Spalt, welcher im Westen von einem stattlichen Höhenzuge begrenzt erscheint. Da wo der
letztgenannte nach Süden zu allmählich zu niedrigen Hügeln abfällt, führt die Karawanen-
strasse in gerader westlicher Richtung nach der Oase von El-Dakhleh d. h. der inneren.
Linker Hand von unserer eigenen Strasse, welche unsere Thiere in langsamem Schritte durch-
massen, im Abstände einer halben Meile, lag der malerisch geformte Berg von Ghana'im, der
sich in scharfkantigen Umrissen von des Himmels Bläue abhob und tiefe dunkle Schatten auf
die flache Ebene der Oase zu seinen Füssen hinwarf. Das von uns so eben überwundene
Plateau mit dem oben beschriebenen Katabathmus stellte sich bei unserer Ankunft in der Ebene
als ein lang ausgedehntes Gebirge mit Steilabfall nach der Oase zu dar. Dunkelschattirte
Spalten, welche an verschiedenen Stellen die regelmässigen Lagerschichten des Gesteines durch-
brechen, bezeichnen für das Auge die Richtung des von uns eingeschlagenen Weges.

Beim Eintritt in das eigentliche Kulturgebiet der Oase fallen dem Wanderer zuerst die
schmalen Streifen grüner Feldstücke auf, auf welchen der Jahreszeit entsprechend, die Halme
des Getreides in der Höhe eines halben Fusses emporgeschossen waren. Enge Rinnsale mit
hellem klaren Wasser gespeist, führten den Feldern die nöthige Feuchtigkeit zur Bewässerung
zu. Da wo der Boden die Feuchtigkeit bereits eingesogen hatte, zeigte eine ziemlich starke,
weissgefärbte Kruste das Vorhandensein salziger Bestandteile. Mehr nach der Mitte der
Oase zu wiesen einzeln stehende Akazienbäume (der sogenannte Sont-Baum, acacia nilotica
der Botaniker) und dichte Gruppen wohlumhegter Palmen-Anpflanzungen auf die Hauptrichtungen
der Berieselungslinien hin. Einzelne Bewohner der Oase, darunter ein Reiter zu Pferd, liefen
 
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