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Bruhns, Leo
Deutsche Barockbildhauer — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 85-87: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.61074#0007
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Im Dezember 1603 schlossen drei Augsburger Patrizier,
als Vertreter der Stadt,' einen Vertrag mit „Johann
Reuchlen von Schongau Statuario“ (Hans Reichel)
über die große Bronzegruppe des heiligen Michael
für die von Elias Holl entworfene Fassade des Zeug-
hauses, die laut Inschrift 1607 fertig wurde (Abb. 3).
Der Stadtgießer Wolfgang Neithard besorgte den Guß.
Das Bildwerk des einheimischen, aber in Italien geschul-
ten Meisters schloß sich einem Vorbild an: der rund
15 Jahre älteren Bronzefigur des Holländers Hubert
Gerhard an der Fassade der Michaelskirche zu
München (Abb. 2). Dieses Bildwerk von 1588 ist ent-
schieden „malerischer“, d. h. zerhackter im Umriß,
flimmernder in der Oberfläche, aber das jüngere von 1607
ist doch zweifellos „barocker“. Das ältere will noch stark
als ein Geschöpf für sich genossen werden. Die Nische, in
der es steht, isoliert es von der Umgebung und empfiehlt,
in Gemeinschaft mit der niedrigen Aufstellung, vor allem
seine Sonderschönheit der Aufmerksamkeit der Vorüber-
gehenden. Eine zierliche Durcharbeitung, besonders der
Gewandfalten und Haarlocken, steigert den Eindruck der
Kostbarkeit, lenkt aber zugleich auch ab vom Wesent-
lichen: dem heroischen Motiv und der dekorativen Ein-
fügung ins Gebäude. Die Energien der Gruppe wirken
gesammelt und geordnet; ihre Schönheit liegt noch, trotz
aller Auflockerung, nicht zuletzt in der geschmeidigen
und schlanken Linie; alle Qualitäten könnten in einem
viel kleineren Format fast ebensogut genossen werden.
Anders bei Reichel. Sein Werk ist nicht nur kolossal
ausgeführt, sondern auch kolossal empfunden. Unter
seinen breiten und wulstigen, abwechselnd prallen und
krausen Formen kommen einige Überbleibsel des Zier-
lichen kaum mehr zu Worte. Kein flimmerndes Geriesel
kleiner Gewandfalten begleitet mehr die schlanke Diago-
nale einer zustoßenden Lanze, sondern massig zusammen-
geballte Energien explodieren nach allen Seiten. Wie

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