Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brunn, Heinrich; Brunn, Heinrich [Hrsg.]; Brunn, Hermann [Hrsg.]
Heinrich Brunn's kleine Schriften (Band 2): Zur griechischen Kunstgeschichte — Leipzig: Teubner, 1905

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.45326#0529
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Söhne in der Laokoongruppe.

517

Hauptsache abgelenkt haben. Sie mußten verschwinden gegenüber der po-
litischen Bedeutung einer Tatsache, in der es sich aussprach, daß die Götter
den Untergang Trojas beschlossen hatten. Ein versöhnendes Element in
dieser düstern Grundstimmung konnte daher auch nur nach dieser allge-
meinen politischen Seite gesucht werden, und Sophokles fand es bereits bei
Arktinos, indem dieser den Auszug und die Kettung der dem Laokoon nahe
verwandten Aineiaden noch vor dem Untergange der Stadt als die unmittel-
bare Folge der vorhergehenden Katastrophe hinstellte. — Dieser weite
politische Hintergrund konnte natürlich von den Künstlern einer plastischen
Gruppe nicht festgehalten werden. Sie mußten die Handlung wieder auf
einen engeren Bereich, den Kreis der Familie, zurückführen; und hier war
es wiederum die alte epische Sage des Arktinos, welche auch den Künstlern
für diesen besonderen Zweck die beste Grundlage darbot: nicht die ganze
Familie, sondern nur der schuldige Teil unterliegt, und so erscheint vor
unserer Phantasie, wenn wir uns die Handlung der Gruppe bis an das Ende
ihrer unmittelbaren Folgen fortgeführt denken, nicht ein Haufe von Leichen,
die wir mit stummer Resignation oder gar mit bitterem Unmut über den
unversöhnlichen Zorn der Götter betrachten, sondern wir finden über den
Leichen den einzigen Hinterbliebenen, der in seiner eigenen Hilflosigkeit
Zeuge des Unglücks sein mußte, ohne doch selbst Hilfe bringen zu können,
und nun dem unendlichen Leid lebendigen Ausdruck verleiht. Er ist nicht
die Hauptfigur, wie die Niobe der Statuen gruppe; aber er bildet darum
nicht weniger das Vermittelungsglied, welches uns von dem Äußeren des
Vorganges zu den inneren Ursachen und den Folgen desselben hinüberleitet
und unser Mitleid für ihn selbst sowohl wie für die Gefallenen lebendiger
erregt, als es irgend ein anderer Zuschauer oder etwa der Chor in einer
Tragödie vermöchte. Erst hierdurch wird die Gruppe eine wahrhaft ethische
und tief tragische und gewinnt einen nicht weniger würdigen Abschluß als
die Tragödie des Sophokles.
 
Annotationen