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Brunn, Heinrich; Brunn, Heinrich [Editor]; Brunn, Hermann [Editor]
Heinrich Brunn's kleine Schriften (Band 3): Interpretation. Zur Kritik der Schriftquellen .. — Leipzig: Teubner, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.45324#0122

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Troische Miszellen. Kyprien.

Spätere Entdeckungen haben an diesem Verhältnis nichts Wesentliches ver-
ändert, sondern verteilen sich etwa in gleichem Maßstabe. Wenn nun die
aristotelische Proportion der Tragödien gewiß keine zufällige ist, sondern
auf bestimmten Gründen beruht, so werden wir voraussetzen dürfen, daß
auch das analoge Verhältnis der Kunstwerke seine bestimmten Ursachen
haben wird, oder mit andern Worten: daß die Künstler nicht jede beliebige
Szene oder Episode, selbst wenn sie an sich für künstlerische Behandlung
geeignet war, nach individueller Laune auch wirklich zur Darstellung
brachten,, sondern daß sie sich ebenso wie die Tragiker bei der Auswahl von
bestimmten Gesichtspunkten leiten ließen.
Eine summarische Betrachtung der Monumente wird dies bestätigen;
doch wird es nicht nötig sein, für- den nächsten Zweck alle Denkmäler-
klassen in gleicher Weise zu berücksichtigen. Denn, um z. B. von den ge-
schnittenen Steinen ganz abzusehen, die sich aus besonderen Ursachen mit
anderen Darstellungen wenig berühren, so liefern auch die Reliefs und
Wandgemälde nur ein zerstreutes und lückenhaftes Material und fehlen
namentlich für die ältere, hier besonders wichtige Zeit fast ganz. Dagegen
bieten die Vasenbilder eine reiche und insofern auch ziemlich in sich ab-
geschlossene Masse dar, als fernere Entdeckungen wohl eine quantitative
Vermehrung innerhalb der bekannten Darstellungskreise versprechen, aber
eine relativ weit geringere Aussicht auf eine Erweiterung dieser Kreise selbst
eröffnen. Die Vasenbilder sind daher hier, wenn auch nicht ausschließlich,
doch in ganz überwiegender .Weise in Betracht zu ziehen. Außerdem aber
werden wir von vorn herein nicht außer acht lassen dürfen, daß nicht- alle
troischen Darstellungen auf das Epos, wenigstens nicht auf das Epos als
direkte Quelle zurückzuführen sind. Wie bedeutend namentlich die viel-
fachen Umgestaltungen, welche die Sage durch die Tragödie erfahren hat,
auf die jüngere Kunst eingewirkt haben, ist allgemein anerkannt. Aber
selbst wo der Stoff dem Epos entlehnt ist, kann sich doch die Auffassung
z. B. dem Geiste der strengeren chorischen oder der freieren mehr subjektiv
gefärbten Lyrik annähern. Endlich redet auch die Kunst ihre eigene
Sprache und benützt daher die von ihr selbständig für gewisse allgemeine
Verhältnisse ausgeprägten Typen auch zur Darstellung bestimmter mythischer
Szenen und Situationen ohne Rücksicht auf den Wortlaut der besonderen
poetischen Quelle.
Wii' beginnen mit den Kyprien. Reich, ja überreich, mehrfach typisch
durchgebildet, und nicht ausschließlich in der Vasenmalerei vertreten sind
die Liebeswerbung, die Hochzeit und das Beilager des Peleus, sowie das
Urteil des Paris. Sie sind die anerkannten, durch den Ratschluß des Zeus
gewollten Ausgangspunkte des gesamten troischen Krieges und überragen
dadurch an tieferer, ich möchte hier sagen, epischer Bedeutung sogar den
faktischen, äußeren Anlaß zum Kriege, nämlich die Liebeswerbung des Paris
und die Entführung der Helena. Allerdings erscheint in einer mehrfach
wiederholten Reliefkomposition aus guter griechischer Zeit (Ov. 13, 2) auch
diese Liebesbegegnung als der Ausfluß eines höheren göttlichen Willens,
etwa in dem Sinne, wie am Kypseloskasten:
Μήδει&ν Ίάΰων γαμ,έει-, κελεται d’ ’Aippodira.
Dieser Auffassung nähert sich die Vasenmalerei nur selten ih Arbeiten
des mittleren, d. h. des mehr oder weniger strengen rotfigurigen Stils. In
 
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