Troische Miszellen. Hermes beim Parisurteil.
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lungen. der Nymphen als deren Führer erklären lasse. Ich kann nicht
unterlassen, nachdrücklich zu betonen, wie eine solche Auffassung mit dem
Geiste der epischen Dichtung durchaus im Widerspruch steht. Zeus will
der Übervölkerung der Erde steuern, aber er vernichtet nicht mit eigener
Hand einen Teil der Menschheit, sondern er beschließt mit Themis den
Troischen Krieg. Auch in diesen aber greift er nicht mit eigener Person
tätlich ein; er mischt sich nicht wie Athene, Apollon, Ares unter die
Kämpfenden; selbst die Aigis schüttelt er nicht selbst, sondern leiht sie
nur dem Apollon. Wohl aber lenkt und regelt er den Krieg in allen seinen
Phasen. So schlichtet er auch nicht selbst den Streit der Göttinnen, son-
dern κατα Λώς προΰταγην muß Hermes die Göttinnen zu Paris geleiten.
Darum darf im Bilde wohl Paris, nicht aber Hermes fehlen: er ist der
Vertreter des Willens des Zeus, und erst durch seine Gegenwart hört das
Urteil auf, eine isolierte, bloß für sich bestehende Tatsache zu sein und
wird in den großen und weiten Zusammenhang der epischen Sage eingefügt.
Überzeugen wir uns nur, wie eine Darstellung ohne die Gegenwart
des Hermes wirkt! In dem rf. Bilde bei Gerhard, A. V. 176 = Ov. Nr. 55
steht Here unmittelbar vor Paris, Hermes fehlt; wir erfahren also weder,
wie Paris zu seinem Richteramte gekommen, noch wie er schließlich das-
selbe ausübt. Auch die Darstellung dieses letzteren Momentes wäre an
sich gewiß gerechtfertigt. Dazu hätte aber gehört, daß der Künstler sicht-
bar gemacht hätte, wie das Urteil schließlich zugunsten der Aphrodite
ausfällt. So wie das Bild dasteht, stellt es uns einen nach keiner Seite
entscheidenden Zwischenmoment vor Augen, dessen ungeschickte Wahl noch
durch eine weitere Ungeschicklichkeit des Künstlers verstärkt wird: anstatt
die Athene, wie wohl anderwärts, zur Vermeidung der Einförmigkeit sich
nach der Aphrodite umblicken zu lassen, stellt er sie ihr mit voller
Körperwendung gegenüber und zerreißt dadurch die ganze Komposition in
zwei Stücke.
Überzeugen wir uns aber auch, welchen Eindruck die Einführung des
Zeus neben Hermes hervorruft, die wenigstens einmal in einem sf. Bilde
versucht worden ist (einer Münchener Amphora: Nr. 123 = Gerhard,
A. V. 170 = Ov. Nr. 44) [Furtwängler-Reichhold I 21], das wohl nicht,
wie man annimmt, absichtlich parodierend, sondern in einem auf uns er-
heiternd wirkenden Bauerngeschmacke von der Hand eines etruskischen
Malers ausgeführt scheint. Dieser läßt dem Hermes und dem ganzen Zuge
den Zeus voranschreiten, in langem Chiton und Mantel, als Greis mit
weißem Haupt- und Barthaar, und gibt ihm außerdem mißverständlich statt
des Szepters einen Caduceus gleich dem Hermes. Gerade dadurch empfinden
wir doppelt, wie wenig es der Würde des Zeus entspricht, wenn er bei
diesem Anlaß die Höhen des Olymp verläßt und selbst seine Befehle einem
Sterblichen überbringt, während für Hermes, dessen Autorität dafür voll-
kommen ausreichen würde, nur die Rolle eines Unteroffiziers übrig bleibt,
welcher die Marschordnung der Göttinnen regelt.*)
*) Hinter Paris steht auf dem Rücken eines der Rinder seiner Herde ein
Rabe. Ich beobachtete einst, wie beim Pflügen mit Ochsen in der römischen
Campagna der lange Zug von einer Schar von Raben oder Krähen umschwärmt
war, von denen sich einzelne mehrfach* ohne Furcht auf den Rücken der Zugtiere
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lungen. der Nymphen als deren Führer erklären lasse. Ich kann nicht
unterlassen, nachdrücklich zu betonen, wie eine solche Auffassung mit dem
Geiste der epischen Dichtung durchaus im Widerspruch steht. Zeus will
der Übervölkerung der Erde steuern, aber er vernichtet nicht mit eigener
Hand einen Teil der Menschheit, sondern er beschließt mit Themis den
Troischen Krieg. Auch in diesen aber greift er nicht mit eigener Person
tätlich ein; er mischt sich nicht wie Athene, Apollon, Ares unter die
Kämpfenden; selbst die Aigis schüttelt er nicht selbst, sondern leiht sie
nur dem Apollon. Wohl aber lenkt und regelt er den Krieg in allen seinen
Phasen. So schlichtet er auch nicht selbst den Streit der Göttinnen, son-
dern κατα Λώς προΰταγην muß Hermes die Göttinnen zu Paris geleiten.
Darum darf im Bilde wohl Paris, nicht aber Hermes fehlen: er ist der
Vertreter des Willens des Zeus, und erst durch seine Gegenwart hört das
Urteil auf, eine isolierte, bloß für sich bestehende Tatsache zu sein und
wird in den großen und weiten Zusammenhang der epischen Sage eingefügt.
Überzeugen wir uns nur, wie eine Darstellung ohne die Gegenwart
des Hermes wirkt! In dem rf. Bilde bei Gerhard, A. V. 176 = Ov. Nr. 55
steht Here unmittelbar vor Paris, Hermes fehlt; wir erfahren also weder,
wie Paris zu seinem Richteramte gekommen, noch wie er schließlich das-
selbe ausübt. Auch die Darstellung dieses letzteren Momentes wäre an
sich gewiß gerechtfertigt. Dazu hätte aber gehört, daß der Künstler sicht-
bar gemacht hätte, wie das Urteil schließlich zugunsten der Aphrodite
ausfällt. So wie das Bild dasteht, stellt es uns einen nach keiner Seite
entscheidenden Zwischenmoment vor Augen, dessen ungeschickte Wahl noch
durch eine weitere Ungeschicklichkeit des Künstlers verstärkt wird: anstatt
die Athene, wie wohl anderwärts, zur Vermeidung der Einförmigkeit sich
nach der Aphrodite umblicken zu lassen, stellt er sie ihr mit voller
Körperwendung gegenüber und zerreißt dadurch die ganze Komposition in
zwei Stücke.
Überzeugen wir uns aber auch, welchen Eindruck die Einführung des
Zeus neben Hermes hervorruft, die wenigstens einmal in einem sf. Bilde
versucht worden ist (einer Münchener Amphora: Nr. 123 = Gerhard,
A. V. 170 = Ov. Nr. 44) [Furtwängler-Reichhold I 21], das wohl nicht,
wie man annimmt, absichtlich parodierend, sondern in einem auf uns er-
heiternd wirkenden Bauerngeschmacke von der Hand eines etruskischen
Malers ausgeführt scheint. Dieser läßt dem Hermes und dem ganzen Zuge
den Zeus voranschreiten, in langem Chiton und Mantel, als Greis mit
weißem Haupt- und Barthaar, und gibt ihm außerdem mißverständlich statt
des Szepters einen Caduceus gleich dem Hermes. Gerade dadurch empfinden
wir doppelt, wie wenig es der Würde des Zeus entspricht, wenn er bei
diesem Anlaß die Höhen des Olymp verläßt und selbst seine Befehle einem
Sterblichen überbringt, während für Hermes, dessen Autorität dafür voll-
kommen ausreichen würde, nur die Rolle eines Unteroffiziers übrig bleibt,
welcher die Marschordnung der Göttinnen regelt.*)
*) Hinter Paris steht auf dem Rücken eines der Rinder seiner Herde ein
Rabe. Ich beobachtete einst, wie beim Pflügen mit Ochsen in der römischen
Campagna der lange Zug von einer Schar von Raben oder Krähen umschwärmt
war, von denen sich einzelne mehrfach* ohne Furcht auf den Rücken der Zugtiere