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22. Quellenwert der Wandgemälde. Verhältnis von Raum und Figur als kritischer Maßstab. 307
gemäß sehr häufig zu einem mehr oder minder gedankenlosen Wirtschaften mit aufge-
lösten und willkürlich neu kombinierten Bildmotiven und Figurenelementen, wobei gelegent-
lich auch plastische Motive aufgenommen werden. Endlich schiebt sich noch die zuerst von
Rodenwaldt aufgeworfene Frage herein, ob nicht grundlegende Elemente, vor allem grade
das Raumgefühl, den Wandmalern etwa erst aus der zeitgenössischen Kunst zugeflossen
seien. Neuerdings hat man sogar den Wert der kampanischen Wandgemälde überhaupt
nur darin suchen wollen, welche Erkenntnisse sie uns für das WTesen des Römischen in
der antiken Kunst zu Anfang der Kaiserzeit zu geben hätten (Diepolder RM 41, 1926, 78).
Da man aber schließlich das Fort wirken griechischer Vorbilder nicht leugnen kann, scheint
mir nach wie vor das oberste Ziel, durch systematische Untersuchung der Kopistenmanieren
den Bestand an älteren Bildtypen herauszuschälen, wie er in Kopien bei den Handwerks-
meistern umgelaufen sein muß, was wir in dem einen Falle des Dioskuridesbildes bereits
deutlich fassen konnten (o. S. 282). Zum mindesten werden sich dabei die konstruktiven
Grundlagen älterer Bildkompositionen zu erkennen geben.
Ein wesentliches Hilfsmittel dazu bietet die Beobachtung des Verhältnisses von
Raum zu Figur nach der sachlichen Seite hin. Ein sinnvoll den Vorgang erläutern-
der Hintergrund wird stets ein Zeuge relativer Originalnähe sein, auch bei geringer Aus-
führung des Bildes oder vielmehr dann erst recht. Denn ein begabter Maler wird eher
die überkommenen Bildideen nach Eigenem abzuwandeln geneigt und fähig sein. Anderer-
seits kann der Hintergrund auch aus Unverständnis, mangelndem Können oder Flüchtig-
keit entstellt, anders kombiniert oder ganz unterdrückt sein. Unwahrscheinlich erscheint
dagegen der früher von Rodenwaldt verfolgte Gedanke, daß grade die besseren Meister
beliebige Figurentypen nach eigenem Dünken mit Hintergründen jüngerer Art zusammen-
gesetzt hätten. Denn bei dem tektonischen Grundgefühl, das in aller antiken Kunst waltet,
sind Raumidee und Figur untrennbare Elemente der bildnerischen Vorstellung, die auch
bei einer Reproduktion nicht willkürlich anders organisiert werden können ohne daß das
Ganze sich auflöst. Wo also ein lebendiger sachlicher und rhythmischer Einklang zwischen
Raum und Figur fühlbar ist, muß er auch zur Urvision des erfindenden Künstlers gehört
haben. Wenn dieser Zusammenhang dagegen fehlt, gehört der Fall zu den handwerk-
lichen Routineprodukten, die uns für kunstgeschichtliche Fragen nichts zu sagen haben.
Einige Fälle, an denen die verschiedenen Möglichkeiten auftreten, seien als greifbare
Maßstäbe für das fragliche Verhältnis vorangestellt. Von den Bildern mit Orest und
Pylades vor Iphigenie ist das aus Casa del Citarista (4. Stils) psychologisch so durch-
dacht und räumlich so großartig, daß man seine Komposition gern auf einen bedeutenden
Meister wie Timomachos zurückgeführt sieht (Herrmann-Bruckmann, Denkm. d. Malerei
künftig = HBr., Tf. 115; S. 161 f.). Schon im 3. Stil aber ist einmal die herrliche
Jünglingsgruppe, unter Verschiebung des Tempelhintergrundes in die rechte Ecke, mit
einer abgeänderten Iphigeniengestalt so unglücklich zusammengerückt worden, daß alle
seelischen und raumrhythmischen Spannungen verloren gingen. Das Bild scheidet damit
aus der typologischen Betrachtung aus, obwohl seine Ausführung von pedantischem Fleiße
zeugt und der Maler durch das hinzugefügte Gefolge der Iphigenie eine Bereicherung zu
bringen sucht, die jedoch sachlich ganz überflüssig, also rein artistisch ist (HBr. 118;
Haus des Jucundus). Weiter hat ein geringer Maler 4. Stils ähnliche Figuren- und Hinter-
grundselemente so dürftig und äußerlich zusammengestellt, daß überhaupt eine genauere

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