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Burckhardt, Jacob; Bode, Wilhelm
Der Cicerone: eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens (Band 2,2): Mittelalter und Renaissance: Plastik und Malerei — Leipzig, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.17369#0469
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Tizian. Sebastiano del Piombo.

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Diesem grossen Dreigestirn der Blüthezeit der venezianischen
Malerei steht ein wenig jüngerer Maler eigenartig gegenüber, der
bei sehr verschiedenen Lebensschicksalen eine wesentlich andere
künstlerische Entwicklung gehabt hat. Sebastiano Luciani. unter
seinem späteren Beinamen Frate del Piombo bekannt (geb. um 1485,
f 1547), soll anfangs Schüler des Giov. Bellini gewesen sein, kam
aber schon jung zu Giorgione, bei dem sich sein verwandtes male-
risches Talent rasch entwickelte. Das einzige köstliche Beispiel, das
uns aus dieser seiner ersten Thätigkeit erhalten ist, ist das Gemälde
auf dem Hochaltar in S. Giovanni Crisostomo zu Venedig: der
Patron der Kirche von anderen Heiligen umgeben, leuchtend in den
reichen Farben, wie nur wenige andere der goldenen Zeit Venedigs,
und in der Gruppe der Frauengestalten von jener edlen, sinnlichen
Schönheit, für die ihm wohl Palma das Vorbild war. — Stärker noch ist
dies in seiner unter Rafaels Namen (vgl. S. 704 Anm. 1) weltberühmten
sog. Fornarina der Tribuna der Fall, worin das Bildniss einer jugend-
schönen vollen Venezianerin in jener von Palma zuerst gefundenen
anmuthigen, idealen Anordnung und Auffassung gegeben ist; zwar
nicht mit dem weichen Schmelz dieses Meisters, aber mit der Gluth
der Färbung seines Lehrers Giorgione, mit einer ihm ganz eigenen
Energie der Zeichnung und der Behandlung, die neben den gleich-
zeitigen Schöpfungen seiner grossen Landsleute nur durch eine gewisse
naturalistische Derbheit zurücksteht. Als Sebastiano dieses Bild 1512
vollendete, war er schon nach Rom übergesiedelt, wohin ihn Agostino
Chigi (wohl bald nach 1509) zur Theilnahme an der Ausschmückung
seiner Villa Farnesina gezogen hatte. Hier sind von ihm in dem
Saal der Galatea die Lunettenbilder, Scenen aus Ovids Metamorphosen,
und die einzelne Colossalgestalt des Polyphem neben Rafaels Galatea
al fresco ausgeführt; die leuchtende Färbung zeigt noch den Schüler
Giorgione's, einzelne schöne weibliche Gestalten erfreuen das Auge;
aber die Compositionen sind unglaublich verzettelt und unbedeutend,
die Zeichnung ist sehr flüchtig. Jedenfalls waren es nicht diese Fres-
ken, sondern Leistungen, wie die eben genannte Fornarina, welche
Rafaels Augen so sehr auf ihn lenkten, dass er den Violinspieler noch
unter dem Einfluss dieses Bildes schuf, und die ihm Michelangelo's
langjährige Freundschaft verschafften. Die gewaltige Auffassungsweise
des Letzteren wirkte so packend auf den jungen Venezianer, dass er
allmählich unter Michelangelo's Einflüsse aus seiner glühend leuchten-
den Tonmalerei in eine auf strenge Zeichnung und grosse Conrposition
ausgehende Richtung überging, in der ihn jedoch bis in die späteste
Zeit der angeborene coloristische Sinn vor allen Nebenbuhlern Roms
auszeichnete. Bei dem engen Verhältnisse beider Künstler, das Se-
bastiano in unwürdiger Weise benutzt zu haben scheint, um Michel-
angelo's Abneigung gegen den ihm in seiner Kunstrichtung unsyni-
 
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