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Burckhardt, Jacob
Briefe an einen Architekten: 1870-1889 — München, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.29617#0264
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BASEL

237

wie im Winter von 1879/80. Und doch ist es nicht all-
zumild wie in den letzten Jahren.

Meine Sonntagsgänge sind jetzt nur etwa dreistündig;
ich habe in der linken Ferse seit einigen Monaten eine
Anwandlung, welche Dr. O. für eine leise erste Mah-
nung von Gicht zu halten geneigt ist. Auch eine nette
Aussicht. — Auf alle Sommerreisen wird jetzt verzichtet,
wer weiss, ob mir der Doktor nicht im Sommer ein Bad
verschreibt? Sonst setze ich mich an einen See für die
drei bis vier Wochen, da meine Damen1) in Ferien gehen
und ich also auch fort muss.

Durch mein Haus am Mühleberg2) (wie durch eine
ganze Reihe) hat neulich der Grosse Rat eine Baulinie
gelegt, welche grade die Hälfte davon wegschneiden
würde. G. meint, dies sei für mich eher günstig, indem
man mich vorkommendenfalls ganz und zum vollen Wert
expropriieren müsste. Es kommt aber in hundert Jahren
nicht dazu, und jene Baulinie hat nur eine ästhetische,
imaginäre Schönheit für sich. Dergleichen gehört jetzt
zum „Fortschritt“; wir wollen nun sehen, ob man in
Wirklichkeit die Courage haben wird, die Baracken zu
expropriieren, welche die Einfahrt ins Dalbenloch3) bis
jetzt so bedenklich machten.

In die Oper gehe ich nicht mehr, der jetzige Kapell-
meister hat mich zu sehr vertäubt durch „geniale“ Will-
kür in den Tempi, womit er mir u. a. das erste Finale
in Kreuzers Nachtlager verhunzt hat; Hilfe ist gegen ihn
keine. Das kann man noch brauchen, dass solche ner-
vöse Wagnerianer die ganze vergangene Kunst auf ihre
Weise revidieren!

*) Bei denen Burckliardt zu Miete war.

2) Das Burckhardt aber aus Gesundheitsgründen nie bewohnt
hat.

3) Das sog. St. Albantal.
 
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