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Burger, Fritz; Schmitz, Hermann; Beth, Ignaz; Burger, Fritz [Contr.]; Schmitz, Hermann [Contr.]; Beth, Ignaz [Contr.]; Schmitz, Hermann [Contr.]; Beth, Ignaz [Contr.]
Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band 3): Oberdeutschland im 15./16. Jahrhundert — Berlin-Neubabelsberg: Akad.Verl.-Ges. Athenaion, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.61917#0048
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OBERRHEINISCHE BILDTEPPICHE. WANDLUNG DER BAUKUNST

zuweilen von Tieren begleitet, auf einem liebevoll gemalten blumenreichen Rasen. Der Zusammenhang mit
der mehr lieblichen Minnekunst des Oberrheins, aus der die Solothurner Madonna (vgl. Abb. Bd. II) und
das Frankfurter Liebesgärtlein hervorgingen, ist deutlich. Aus dem Kunstkreis des Spielkartenmeisters
stammen endlich auch einige entzückende wollgewirkte oberrheinische, vermutlich in Basel gefertigte
Wandbehänge. Sie stellen Mädchen und Jünglinge mit Fabeltieren in Minnegesprächen dar, auch wilde
Männer u. dergl.; der Grund besteht aus Blumenranken oder den um 1440—50 in den Hintergründen der
Tafelmalerei, wahrzunehmenden Granatmustern (Abb. 42). Beispiele in Basel, in Gries bei Bozen aus dem
Schweizer Kloster Muri, in den Kunstgewerbemuseen von Berlin, Frankfurt und in Sigmaringen. Die Bild-
teppiche wurden als Rücklaken hinter den Wandbänken aufgehängt, sie sind für die Gesamtgeschichte der
oberdeutschen Malerei wertvoll, da sie den Stil der fast gänzlich zugrunde gegangenen Wandmalerei des
15. Jhhs. in Burgen und Patrizierhäusern vergegenwärtigen.
Die oberdeutsche Malerei des zweiten Drittels des 15. Jhhs. teilt sich also deutlich in
zwei Richtungen. Die eine bewahrt sich stärker das Linien- und Flächenempfinden der vor-
aufgehenden idealisierenden Epoche — sie wird durch Moser, Konrad Laib, durch den Spiel-
kartenmeister und die oberrheinischen Bildwirkereien bezeichnet, die andere vorwärtsstrebende
sucht unter fast völliger, oft rücksichtsloser Preisgabe des dekorativen Schönheitskanons der
Gotik die realistische körperhafte Wiedergabe der Erscheinung: Witz, Multscher, der Tücher-
meister sind ihre Führer. Eine gemeinsame Grundtendenz aber läßt sich als Ausdruck eines
durchgehenden neuen Zeitfühlens erkennen. Das ist der Drang nach Bewältigung des
Raumes, nach Überwindung des Flachen. Damit hängt das Erwachen des Blickes für die
Landschaft aufs innigste zusammen, das besonders im Bodensee- und Oberrheingebiet statt-
findet. Wir haben hier den Punkt, wo sich die Malerei der Herrschaft der Architektur ent-
windet, unter der sie seit dem hohen Mittelalter gewesen war. Rein äußerlich bekundet sich
das in dem Zurücktreten der Wandmalerei, die ja noch in den ersten Jahrzehnten des 15. Jhhs.
sowohl am Bodensee, wie in Nordschwaben, in Nürnberg wie in den Tiroler und österrei-
chischen Ländern die ausgebreitetste Pflege gefunden hatte. Das Tafelbild tritt in den Vor-
dergrund. Ganz gewiß ist es, daß dieser Umbildung oder vielmehr Erweckung des Raum-
empfindens in der Malerei eine entscheidende Umwandlung des Raumgefühls und -gestaltens
in der Baukunst voraufgegangen sein muß. Tatsächlich hat sich in der oberdeutschen Bau-
künstlergeneration um 1400 die tiefgreifende Umwälzung von dem energisch aufwärtsstre-
benden, organisch gegliederten Raumkörper der Hochgotik zu dem kompakten, ruhig um-
schlossenen Raumbilde der Spätgotik vollzogen. Es genügt, den Meister des Ulmer Münsters
Ulrich von Ensingen (f 1416) und seine Söhne, die Schöpfer des Berner Münsters, sowie die
Meister der Landshuter St. Martinskirche (1400) und der Frauenkirche in Ingolstadt (1425)
und anderer Frühwerke des bayerischen Hallenbaus zu erwähnen, um anzudeuten, was damit
gemeint ist. Die Umwälzung der oberdeutschen Malerei zum Naturalismus entspringt somit
einer allgemeinen inneren Wandlung im Kunstleben der Nation; in gewissem Sinne kann
man sie eine Evolution, eine Entfaltung aus eigener Kraft nennen, „von bodenständigen
Anfängen“ sprechen, und die früher als notwendig vorausgesetzte Einwirkung der Nieder-
länder tritt in den Hintergrund. Aber nicht zu leugnen ist, daß die niederländischen Zeit-
genossen, die Eycks, Roger und der Flemallemeister, sich doch in viel stärkerer Weise unab-
hängig von der gotischen Architektur gemacht, und das eigentlich Bildmäßige errungen haben.
 
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