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BERLIN
61. Friedrich Herlin: Anbetung der Könige. Vom Altar der
Blasiuskirche in Bopfingen
von Engeln gekrönt mit den hl. Blasius und
Christophorus unter fünf- und dreiseitigen
Baldachinen; in diesen Schnitzereien haben
wir eines der frühesten Beispiele des Natura-
lismus in der schwäbischen Altarplastik (vgl.
Abb. 86 auf S. 572). Die Flügel enthalten in
großen Bildern links die Geburt, rechts die
Anbetung der Könige, auf den Rückseiten
Gefangennahme und Martyrium des hl. Bi-
schofs Blasius, und in der Predella Passions-
szenen. Nun sind die tiefen Landschafts-
hintergründe mit Straßenblicken wie bei Roger
aufgenommen. In den gestreckten hageren
knochigen Gestalten der hl. drei Könige
spricht sich das energische herbe Formgefühl
des oberdeutschen Spätgotikers aus. Nament-
lich die Bilder aus der Geschichte des hl. Bla-
sius, wo der Meister nicht durch die strenge
Tradition herkömmlicher Schemen gebunden
blieb, geben uns durchaus Eigenes. Die Er-
zählung ist naiv und lebendig. Die hageren
sehnigen, in knappe kurze Jacken und enge
Hosen gewandeten Knechte und Henker mit
weit aber eckig ausholenden langen Gliedern,
sowie die anmutigen Frauen mit verschnür-
ten Miedern und Hauben gehören zu dem Ge-
schlecht, das bereits beim Meister ES und
namentlich beim jugendlichen Hausbuch-
meister erschienen ist. Aus der Umgebung
entnommen sind auch die Hintergründe in
der Blasiuslegende, schwäbische Stadtansich-
ten mit breiten Fachwerkhäusern, um offene,
mit Brunnen besetzte Marktplätze gruppiert.
Ein weiteres Hauptwerk des Herlin ist der
ehemalige Hochaltar der St. Georgskirche in
Nördlingen, jetzt in der Städtischen Galerie, um 1478 entstanden, im geschnitzten Mittelschrein ehemals
die Passionsgruppe von dem Nürnberger Simon Leinberger, auf den Flügeln innen zwölf Szenen aus
der Jugendgeschichte Christi (Bd. I, Abb. 77), auf der Rückseite das Jüngste Gericht und vier Passions-
szenen und auf den Außenflügeln drei Szenen aus dem Leben des Kirchenpatrons S. Georg, Christi Salbung,
Christus als Gärtner, Heilige und Stifter und Stifterinnen. In der Schaustellung Christi durch Pilatus
mit kniendem Stifter (Abb. 93 auf S. 579) in der Städtischen Galerie in Nördlingen sind die das „Crucifige!“
schreienden Juden wieder wahre Prachtgestalten der oberdeutschen Spätgotik; die herben knochigen Gesichter,
die nervigen schlanken Gestalten in den spitzig knappen Modetrachten der Zeit erfüllt das gleiche Stilgefühl für
das Eckig-Scharfe und Sehnige wie die spätgotische Maßwerkgalerie der Brüstung. Der Sinn für das Einzelne
und Individuelle findet auch in den lebenswahren, wenngleich noch ängstlich verschüchtert knienden Stifterge-
stalten Herlins, so der Familie Enzinger, gottesfürchtig dasitzend in den schlicht wiedergegebenen Kirchenbänken,
seinen Niederschlag (Abb. 91 auf S. 577). So ist Herlins letztes Werk, der Altar seiner eigenen Familie
mit der thronenden Maria in der Mitte, der Geburt Christi und dem zwölfjährigen Christus im Tempel auf
den Flügeln von 1488 in der Nördlinger Galerie durch die trefflichen Bildnisse ausgezeichnet (Abb. 63).
Auf dem breiten Mittelbilde thront die Gottesmutter in einer romanischen Halle — wieder ein Thema nieder-
ländischer Votivbilder — hinter ihr ist ein Vorgang aufgehängt; zur Linken kniet, von dem hl. Lucas
empfohlen, der alte Herlin selbst mit seinen Söhnen und zur Rechten mit der hl. Margarete als Fürbitterin
die Mutter mit den vier Töchtern. Auch bei diesen Kindern wird man an die Knaben und Mädchen des
Hausbuchmeisters und an Albrecht Dürers Jugendbildnis von 1484 erinnert. Die Bildniskunst nahm in
BERLIN
61. Friedrich Herlin: Anbetung der Könige. Vom Altar der
Blasiuskirche in Bopfingen
von Engeln gekrönt mit den hl. Blasius und
Christophorus unter fünf- und dreiseitigen
Baldachinen; in diesen Schnitzereien haben
wir eines der frühesten Beispiele des Natura-
lismus in der schwäbischen Altarplastik (vgl.
Abb. 86 auf S. 572). Die Flügel enthalten in
großen Bildern links die Geburt, rechts die
Anbetung der Könige, auf den Rückseiten
Gefangennahme und Martyrium des hl. Bi-
schofs Blasius, und in der Predella Passions-
szenen. Nun sind die tiefen Landschafts-
hintergründe mit Straßenblicken wie bei Roger
aufgenommen. In den gestreckten hageren
knochigen Gestalten der hl. drei Könige
spricht sich das energische herbe Formgefühl
des oberdeutschen Spätgotikers aus. Nament-
lich die Bilder aus der Geschichte des hl. Bla-
sius, wo der Meister nicht durch die strenge
Tradition herkömmlicher Schemen gebunden
blieb, geben uns durchaus Eigenes. Die Er-
zählung ist naiv und lebendig. Die hageren
sehnigen, in knappe kurze Jacken und enge
Hosen gewandeten Knechte und Henker mit
weit aber eckig ausholenden langen Gliedern,
sowie die anmutigen Frauen mit verschnür-
ten Miedern und Hauben gehören zu dem Ge-
schlecht, das bereits beim Meister ES und
namentlich beim jugendlichen Hausbuch-
meister erschienen ist. Aus der Umgebung
entnommen sind auch die Hintergründe in
der Blasiuslegende, schwäbische Stadtansich-
ten mit breiten Fachwerkhäusern, um offene,
mit Brunnen besetzte Marktplätze gruppiert.
Ein weiteres Hauptwerk des Herlin ist der
ehemalige Hochaltar der St. Georgskirche in
Nördlingen, jetzt in der Städtischen Galerie, um 1478 entstanden, im geschnitzten Mittelschrein ehemals
die Passionsgruppe von dem Nürnberger Simon Leinberger, auf den Flügeln innen zwölf Szenen aus
der Jugendgeschichte Christi (Bd. I, Abb. 77), auf der Rückseite das Jüngste Gericht und vier Passions-
szenen und auf den Außenflügeln drei Szenen aus dem Leben des Kirchenpatrons S. Georg, Christi Salbung,
Christus als Gärtner, Heilige und Stifter und Stifterinnen. In der Schaustellung Christi durch Pilatus
mit kniendem Stifter (Abb. 93 auf S. 579) in der Städtischen Galerie in Nördlingen sind die das „Crucifige!“
schreienden Juden wieder wahre Prachtgestalten der oberdeutschen Spätgotik; die herben knochigen Gesichter,
die nervigen schlanken Gestalten in den spitzig knappen Modetrachten der Zeit erfüllt das gleiche Stilgefühl für
das Eckig-Scharfe und Sehnige wie die spätgotische Maßwerkgalerie der Brüstung. Der Sinn für das Einzelne
und Individuelle findet auch in den lebenswahren, wenngleich noch ängstlich verschüchtert knienden Stifterge-
stalten Herlins, so der Familie Enzinger, gottesfürchtig dasitzend in den schlicht wiedergegebenen Kirchenbänken,
seinen Niederschlag (Abb. 91 auf S. 577). So ist Herlins letztes Werk, der Altar seiner eigenen Familie
mit der thronenden Maria in der Mitte, der Geburt Christi und dem zwölfjährigen Christus im Tempel auf
den Flügeln von 1488 in der Nördlinger Galerie durch die trefflichen Bildnisse ausgezeichnet (Abb. 63).
Auf dem breiten Mittelbilde thront die Gottesmutter in einer romanischen Halle — wieder ein Thema nieder-
ländischer Votivbilder — hinter ihr ist ein Vorgang aufgehängt; zur Linken kniet, von dem hl. Lucas
empfohlen, der alte Herlin selbst mit seinen Söhnen und zur Rechten mit der hl. Margarete als Fürbitterin
die Mutter mit den vier Töchtern. Auch bei diesen Kindern wird man an die Knaben und Mädchen des
Hausbuchmeisters und an Albrecht Dürers Jugendbildnis von 1484 erinnert. Die Bildniskunst nahm in