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SCHATTENSEITEN DER ZEIT
94. Schongauer: Weihrauchfaß, Kupferstich
die Verachtung des Bauernstandes sind gleichfalls dunkle
Der Kaiser selbst, der sich in
seiner Burg in Wiener Neustadt
mit spitzfindigen Devisen und
genealogischen Spielereien, mit
Edelsteinen, Goldgefäßen und Ku-
riositäten beschäftigte, während
das Reich von den Türken, Polen,
von Burgund und den Dänen be-
raubt wurde, ist der typische Ver-
treter des Geistes der Epoche. Be-
sonders in der Nürnberger Schule,
in Wolgemuts Arbeiten hat die
Richtung sich verewigt (Abb.-92).
In der Enge der Auffassung wie in
der Ausspinnung der Leiden der
Passion, in der Ausführlichkeit,
mit der die Roheit der Schergen
gegeben wird, kommt auch eine
Härte des Gemüts zutage. Sie
hat in der grausamen inhumanen
Kindererziehung dieser Generation
ihre Parallele, wie ja ein lustiges
frisches Kind unter den verkrümm-
ten Würmern der Geburt Christi
selten vorkommt. Luther hat uns
aus seiner eigenen Jugend ein
Bild dieser Kindererziehung ge-
geben. Die Unbildung des Adels,
Züge im Charakter dieser Zeit, auch
sie mußten die Kunst auf die dumpfe Atmosphäre des Bürgertums beschränken. Die Vorzeichen
des großen Bauernkrieges gingen wie ein böser Geist durchs Land. Häufig sind Verspottungen
des Bauern in Kunst und Dichtung der Epoche. Umsonst suchen wir nach den reizenden
Bauernidyllen in den burgundischen und französischen Wirkteppichen und Handschriften
der 2. H. des Jhhs. Den zu solcher Menschenwürde erhobenen Köpfen armer Hirten und
Bauern in den Bildern von Memling und von van der Goes kann die oberdeutsche Malerei nichts"
Ebenbürtiges an die Seite stellen. Die bizarre, bald überknappe, bald breitbauschige Tracht
ist auch ein Ausdruck des Verzwickten und Gekünstelten (Abb. 93). Das Studium des nackten
Menschen war unbekannt. Die ängstlich blickenden Köpfe, die starre, etwas gebeugte Haltung
der Menschen ist in den Stifterbildnissen und den noch seltenen Porträts festgehalten (Abb.90,91).
Krampfhaft falten sie die Hände, oder drehen in den knochigen Fingern den Rosenkranz. Mit der
äußerlichen Beilegung der Religionskämpfe durch das Baseler Konzil wuchs die innere Seelen-
angst und Bedrücktheit, nie war die Betätigung des religiösen Geistes nach außen, in glän-
zenden Kirchenausstattungen, Altären, Glasgemälden und Silbergerät, die Reliquien- und
Heiligenverehrung größer. Und doch ist es nicht der gewaltige Glaube, der die gotischen
Kathedralen des hochgotischen Stils errichtete, den wir hier in den breitbehäbigen wohl-
SCHATTENSEITEN DER ZEIT
94. Schongauer: Weihrauchfaß, Kupferstich
die Verachtung des Bauernstandes sind gleichfalls dunkle
Der Kaiser selbst, der sich in
seiner Burg in Wiener Neustadt
mit spitzfindigen Devisen und
genealogischen Spielereien, mit
Edelsteinen, Goldgefäßen und Ku-
riositäten beschäftigte, während
das Reich von den Türken, Polen,
von Burgund und den Dänen be-
raubt wurde, ist der typische Ver-
treter des Geistes der Epoche. Be-
sonders in der Nürnberger Schule,
in Wolgemuts Arbeiten hat die
Richtung sich verewigt (Abb.-92).
In der Enge der Auffassung wie in
der Ausspinnung der Leiden der
Passion, in der Ausführlichkeit,
mit der die Roheit der Schergen
gegeben wird, kommt auch eine
Härte des Gemüts zutage. Sie
hat in der grausamen inhumanen
Kindererziehung dieser Generation
ihre Parallele, wie ja ein lustiges
frisches Kind unter den verkrümm-
ten Würmern der Geburt Christi
selten vorkommt. Luther hat uns
aus seiner eigenen Jugend ein
Bild dieser Kindererziehung ge-
geben. Die Unbildung des Adels,
Züge im Charakter dieser Zeit, auch
sie mußten die Kunst auf die dumpfe Atmosphäre des Bürgertums beschränken. Die Vorzeichen
des großen Bauernkrieges gingen wie ein böser Geist durchs Land. Häufig sind Verspottungen
des Bauern in Kunst und Dichtung der Epoche. Umsonst suchen wir nach den reizenden
Bauernidyllen in den burgundischen und französischen Wirkteppichen und Handschriften
der 2. H. des Jhhs. Den zu solcher Menschenwürde erhobenen Köpfen armer Hirten und
Bauern in den Bildern von Memling und von van der Goes kann die oberdeutsche Malerei nichts"
Ebenbürtiges an die Seite stellen. Die bizarre, bald überknappe, bald breitbauschige Tracht
ist auch ein Ausdruck des Verzwickten und Gekünstelten (Abb. 93). Das Studium des nackten
Menschen war unbekannt. Die ängstlich blickenden Köpfe, die starre, etwas gebeugte Haltung
der Menschen ist in den Stifterbildnissen und den noch seltenen Porträts festgehalten (Abb.90,91).
Krampfhaft falten sie die Hände, oder drehen in den knochigen Fingern den Rosenkranz. Mit der
äußerlichen Beilegung der Religionskämpfe durch das Baseler Konzil wuchs die innere Seelen-
angst und Bedrücktheit, nie war die Betätigung des religiösen Geistes nach außen, in glän-
zenden Kirchenausstattungen, Altären, Glasgemälden und Silbergerät, die Reliquien- und
Heiligenverehrung größer. Und doch ist es nicht der gewaltige Glaube, der die gotischen
Kathedralen des hochgotischen Stils errichtete, den wir hier in den breitbehäbigen wohl-