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Busse, Erwin von; Guardi, Francesco [Ill.]
Francesco Guardi und die Kleinmeister des venezianischen Rokoko — Bibliothek der Kunstgeschichte, Nr. 83: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.68790#0007
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Um sterbende Kulturen schwebt ein Geheimnis.
Einer Melodie gleich, berauschend und traurig, tri-
vial und hoheitsvoll, gewaltig und spielerisch, klingt der
Tod durch jede Blütezeit in der Geschichte. Nicht der
Mörder-Tod kriegerischer Vernichtungen oder elemen-
tarer Katastrophen, nein, der leise, unabwendbare,
schon im Blühen inbegriffene und notwendige Tod des
Verwelkens. — Tel-el-a-Marna und das Land der Trou-
badours, Granada, das späte Venedig: Morituri! ■—■ Das
sterbende Venedig hat nichts von seinem Untergang ge-
wußt. Vorgefühlt, es in einem dämmerigen, besinnungs-
losen Ausweichen und Bannen des großen Finstren ge-
ahnt —: Vielleicht! Denn das Leben dieses späten Ve-
nedig hat jenes krampfhafte, irrlichtierende, wollust-
schwangere und zugleich grandios leichtsinnige, jenes
„carpe diem“, das im Abschiednehmen vor der Freude
liegt. Nie, auch in der Zeit des zyprischen Königreichs
und Aretinos nicht, war der Taumel und die Lebens-
lust so groß, wie im Rokoko. Wie sollte man sich auch
nicht des Glanzes freun, der den französischer Könige
überstrahlte, wie nicht der republikanischen Freiheit
(so vermeintlich sie war), da sonst die europäischen
Völker das Joch des Absolutismus trugen, wie nicht des
Zaubers von Meer und Sonne, von Licht und Farben.
Noch mehr: Die Freude wohnte jetzt allein in den Ge-
mütern, die ehemals sich mit Politik und Welthandels-
sorgen plagen mußten. — Der Genuß ist Trumpf, zum
Genuß wird alles: die'Staatsaktion, das Berufsleben, die
Religion. Wie seit Jahrhunderten feiert hier der Doge
alljährlich seine Vermählung mit dem Meer; aber es ist
kein Akt von erhabener Majestät mehr, sondern ein
dionysischer Reigen: Regatten, Getäfel und Feuerwerk.
Wie seit Jahrhunderten walten hier studierte Herren,

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