Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wiegand, Theodor
Programm zum Winckelmannsfeste der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin (Band 73): Bronzefigur einer Spinnerin im Antiquarium der Koeniglichen Museen — Berlin, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2166#0008
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6

fingers dagegen ist frei und verrät, daß der Zeigefinger, nach vorn eingebogen, sich mit der
Daumenspitze vereinigte. Diese beiden Finger müssen einen dünnen, zarten Gegenstand
erfaßt haben, wie es Abb. 4 darstellt nach einem Vasenbild des britischen Museums"2).
Die ziehende Bewegung des ganzen rechten Armes führt zu dem Schluß, daß es ein Faden
war. den das Mädchen von ihrer linken Hand herüberzog. Diese hat somit einen Spinn-
rocken gehalten, und wir haben das Bild einer jungen Spinnerin vor uns.

Spinnräder waren den Griechen unbekannt, Während
des ganzen Altertums hat man sich der Handspinnerei
mittels Rocken (r|XaKccTn) und Spindel (axpciKTOc;) bedient.
Mit diesem Werkzeug erscheint bereits eine Elfenbeinfigur des
VIII. Jahrhunderts v. Chr. aus dem ephesischen Artemision,
und noch höher hinauf führen die Bilder spindeltragender
orientalischer Gottheiten3). Herakles und Achill tragen diese
Symbole des weiblichen Hausfleißes, wenn der Mythos sie
in denkbar schärfsten Gegensatz zu ihrer starken Männ-
lichkeit setzen will. Wie der Krieger der Gottheit die Waffe
darbringt, so weiht die Frau Spindel und Knäuel oder den
geflochtenen Korb mit Wolle4), und mit solchen Gegenständen
wird die brave Frau nach ihrem Tode auf dem Grabstein
symbolisch oft genug geehrt, wie man ihr auch beim Hoch-
zeitszug Rocken und Spindel zur Seite getragen hatte. „Ruhm-
los ruht nun im Schattenreich das Garn und das geschwätzige
Webeschiff bei der erfahrenen Spindel" — so lautet die Klage
auf dem Denkmal einer zwanzigjährig verstorbenen Kyrenäerin, das David M. Robinson
soeben veröffentlicht hat (American Journal of Archaeology XVII 1913 S. 162):
otKXea ö'£v ffKorir) Trnviö'iuaTa Kai AdXoc; aikiuc;
xepKic; 6fAou mvirrij} Kerrai ert' iiXexdTn.
War es im alten Italien Aberglaube, daß der Flur schade, wer Faden und Spindel
drehend durch die Feldmark ging (Plinius n. h. XXVIII 5), so findet sich solche Scheu
heute bei der Landbevölkerung der Mittelmeerländer nirgends mehr, und nicht selten be-
gegnet man den im Gehen spinnenden Hirten und Hüterinnen der Herden in den Gebirgs-
tälern des Peloponnes, auf den Hochebenen Kleinasiens: ihre Tätigkeit unterscheidet
sich in nichts von der schon in prähistorischen Zeiten geübten Hantierung, die in Troja
z. B. so unzählige Spinnwirtel hinterlassen hat.

Der Vorgang der antiken Handspinnerei ist also einfach zu schildern. Hugo Blümner

Abb. 4. Von einer Kanne
des British Museum D 13.
 
Annotationen