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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 2): Hellas und Rom in Religion und Weisheit, Dichtung und Kunst: ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33535#0139
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Der Uebergang zur Lyrik.

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ein neuer Schild znm siegreichen Kampf werde sich finden. Aber
die Unfälle der Colonie betrüben ihn schwer, und er singt ein
Klagelied den Freunden, welche die Woge des Meeres verschlungen
hat. Heimgekehrt nach Paros fiel er von der Hand des Napiers
Kalondas in der Schlacht. Als dieser das Heiligthum zu Delphi
betreten wollte, sprach die Priesterin: Du hast den Diener der
Musen erschlagen, Weiche ans dem Tempel!
Für seine satirischen Angriffe, die noch gegen viele Personen
und Dinge gerichtet waren, hatte Archilochos den vorandringenden
Jambus gewählt, und den aus drei Doppelfüßen bestehenden
Trimeter gebildet; Elegien sang er in herkömmlichem Versmaß;
für ernste Betrachtung wählte und stempelte er den trochäischen
Tetrameter; nach ihm benannt sind die Verse welche daktylisch be-
ginnen und trochäisch schließen, den ursprünglich raschen Gang
also verlangsamen, sodaß durch sie die Rhythmik aus der Wieder-
holung derselben Füße heraustrat, und wenn dabei dann die Musik
das Tempo minder schnell nahm oder die Noten etwas dehnte, so
gewann sie Takte von verschiedenem Geschlecht in einem viel-
gestaltigen und doch wieder harmonischen Ganzen, z. B.:
Glühendes Liebesverlangen im Innersten unter meinem Herzen
Gießt um die Augen mir Nebel, verdunkelnde, raubt den klaren Sinn mir.

So sehen wir ihn das Metrum je nach der Stimmung gestalten
und meisterlich handhaben. Seine Sprache ist dabei ohne die
herkömmliche Feierlichkeit, ohne den Schmuck stehender Beiwörter
voll unmittelbarer Frische und neuer scharf bezeichnender Kraft,
die auch das Gemeine mit dem eigentlichsten Worte nennt,
aber in dem Ausdruck des innigen Gefühls durch schlichte Anmuth
bezaubert. Aus seinen individuellen Zuständen heraus fand er
den rechten dein gewöhnlichen Leben selbst nahe bleibenden Ton,
wußte aber zugleich die energische Rede gefällig abzuruuden, die
Schnellkraft des Gedankens erfindungsreich in das treffende Wort
zu kleiden und melodisch ansschwingen zu lassen. Er erkannte daß
die Thaten und die Dinge so wie der Sinn und Geist der Men-
schen sind; er lehrte den Göttern alles anheimstellen, welche die
Stolzen erniedrigen und den Gedrückten ans dem Ungemach auf-
richten; er ermahnte sich selbst zu Maß und Gleichmuth:
Herz, mein Herz, vom ungestümen Sorgensturm emporgewühlt
Fasse dich! Und kühn zur Abwehr wirf entgegen deine Brust
 
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