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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 2): Hellas und Rom in Religion und Weisheit, Dichtung und Kunst: ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33535#0141
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Der Uebergang zur Lyrik.

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auch die wie Gleichnisse erfundenen Geschichten da ab wo die
Lehre für die menschlichen Verhältnisse deutlich ward. So ent-
stand die Fabel; sie heißt darum auch Aenos, Ermahnung. Ein
samischer Sklave Aesop, um 570 v. Ehr., soll besonderes Geschick
iu der Erfindung und Erzählung solcher treffender, in Thier-
geschichten eingekleideter Einfälle gehabt haben; sein eigenes Leben
ist vielfältig durch Mythen ausgeschmückt und sein Name zum
Träger der besten im Volksmunde überlieferten Fabeln gemacht
worden.
Von Aesop stammt auch ein elegisches Wort über das mühe-
volle Menschenleben:
Ohne den Tod wie entflieht man, o Leben, dir? tausend Beschwerden
Hast dn, und weder zu fliehn noch zu ertragen ist leicht.
Süß womit die Natur dich schmnckete: Fläche des Meeres,
Erde, Gestirne, die zween Kreise der Sonn' und des Monds;
Alles das Andere Furcht und Traurigkeit; welcher des Guten
Aber empfing dem steht Nemesis wieder bevor.

Dieser melancholische Schatten schwebt dann über den Dich-
tungen des Mimuermos von Kolophon; der Reiz des Frühlings
und der Jugend stimmt durch seine Vergänglichkeit zur Wehmuth,
und so fliegt ein Hauch von Sentimentalität über das naive Be-
kenntnis daß das Leben nur Werth habe so lange es mit voller
Sinnenlust genossen werden kann. Mimuermos sang auch von
dem politischen Geschick seiner Vaterstadt, — es war die Zeit
wo die Griechen Kleinasiens ihre Freiheit verloren; aber er that
es mehr durch einen sehnsüchtigen Rückblick auf die Vergangenheit
als durch Ermahnung zu mannhafter That. Seine meisten Ele-
gien waren der Flötenspielerin Nanno gewidmet, die er liebte,
die aber jüngere Bewerber ihm vorzog. Und so leitete er mit
seinen weich melodischen Klängen die spätere Richtung der Elegie
bereits ein, und ward deshalb gerade am Ende des Alterthums
vorzugsweise geliebt. Der Sinn seines Lebens und Dichtens lag
in den berühmten Distichen:

Was heißt Leben und was heißt Lust, wenn Kypria mangelt?
Möcht' ich sterben sobald dieses mich nimmer ergötzt:
Heimlicher Liebesvereiu, snßkosende Wonn' und Umarmung,
Weil noch fesselnder Reiz lieblicher Jugend besteht.
 
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