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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 2): Hellas und Rom in Religion und Weisheit, Dichtung und Kunst: ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33535#0652
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Rom.

dem sie entströmt, aber zugleich hingewandt auf die Materie.
Diese ist nichts anderes als das Nichtseiende und Leere, in welches
ein Widerschein des Wirklichen fallt, aber aus der Einheit in die
Vielheit zeitlich und räumlich vertheilt wird. So hat Plotin ein
beständiges Absinken und Allsströmen; das Eins ist das Höchste,
ihm folgt der Geist, und die Weltseele ist der zweite Kreis um
das Centrum; diese zusammen bilden das wahre Sein, und nur
seine Abschattung, sein Scheinbild ist die Erscheinungswelt des
Endlichen und Körperlichen, in welchem das Licht erlischt. Die
Materie ist kein positives Princip neben dem Geist, auch keine
Bedingung für seine Verwirklichung, sondern Finsterniß als Man-
gel des Lichtes, das aber noch in sie hineinscheint und durch das
Schattenbild die Täuschung des Seins hervorbringt. Wenn die
einzelne Seele von dem Trug umstrickt wird als ob das ver-
gängliche Sinnliche das Wirkliche sei, dann ist sie ihrem Urquell
abgewandt, und dem Bösen, dem Wesenlosen verfallen.
Und doch ist die Erscheinungswelt auch für Plotin das Ab-
bild des ewigen Urbildes, und seine hellenische Anschauung freut
sich ihrer Schönheit. Der Körper ist das Product der Seelen-
kraft, damit ist das Sinnliche die Abspiegelung des Uebersinnlichen,
dessen Harmonie in ihm widerklingt, und auch aus den Gegen-
sätzen sich herstellt wie das Drama aus dem Streit der handeln-
den Personen. Die Weisheit Gottes zeigt sich in der Ordnung
der Welt, sagt er gegenüber der Weltverachtung der Gnostiker;
jegliches ist gut au seiner Stelle, und auf dem Wechsel des Ent-
stehens und Vergehens beruht das Leben der organischen Natur.
Was aus dem Naturverlauf hervorgeht nehmen wir als ein
Nothwendiges hin, nnd wenn es nns ein Uebel scheint, so ist es
Strafe der Verschuldung oder doch nur für den ein Unglück welcher
nicht gelernt hat allein in der Tugend die Glückseligkeit zu finden
und sich alles zum Heil dienen zu lassen. Wer nicht will daß die
Schlechten herrschen, der mache die Tyrannei unmöglich durch
männliche That!
Die Neigung zum Sinnlichen führt die einzelne Seele in
die Körperwelt herab, und wenn sie nun sich dem thierischen und
pflanzlichen Leben ergibt, so wird sie als wilder Tiger, als ge-
fräßiges Schwein, als flatterhafter Vogel oder als träumerische
Pflanze wiedergeboren, bis sie sich wieder zu höhern Regwnen
emporhebt. Die Wahrheit daß der sittliche Zustand des Menschen
sein künftiges Geschick bedingt, wird ganz im Anschluß an orien-
 
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