Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 2): Hellas und Rom in Religion und Weisheit, Dichtung und Kunst: ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes — Leipzig, 1872

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.33535#0231
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Kunst der Prosa. Redner und Geschichtschreiber. 209
obenerwähnten Mythen um an sie die Kämpfe der kleinasiatischen
Ionier mit den Lydern anzureihen; des Krösos Sturz durö
Kyros führt ihn zu den Persern und Medern, und deren Kämpfe
mit Babylon und Aegypten geben ihm Gelegenheit über diese
zu reden; Dareios' Züge bringen ihn zu den Scythen und nach
Griechenland; ausführlich erzählt er den Krieg der Perser und
Hellenen bis zu der Entscheidungsschlacht von Platää. Die Frei-
heitsliebe, der Sinn für Ordnung, das verständige Wesen der
Griechen hat über die gewaltigen Massen der orientalischen Herr-
scher und ihrer Unterworfenen, ihren Prunk und ihre übermüthig
phantastischen Plane den Sieg davongetragen, — dieser Gedanke
ist die Seele von Herodot's Geschichte, und er erkennt darin die
Gerichte Gottes und die Macht der sittlichen Weltordnnng, die
nicht will daß der Mensch sich überhebe, sondern daß er Maß
halte, die das Recht schützt, dem besonnenen Mnth hülfreich zur
Seite steht und ihn groß macht. Herodot hat allerdings das Wort
vom Neide Gottes, der nicht leidet daß ein anderer sich höher
dünke denn er; aber dem liegt zu Grunde daß der Mensch so schwer
das Glück erträgt, daß die Größe den Uebermuth und die Satt-
heit den Frevel erzeugt, und daß dafür die Strafe kommt, daß die
Vermessenheit wieder auf das rechte Maß gebracht und gedemüthigt
wird. Das lesen wir ganz deutlich auch bei Euripides:
Das Gold, das Glück lenkt das Gemüth
Der Menschen irr, daß es zu Stolz,
Zn Gewalt sich wendet.
Herodot läßt dem Terpes seinen Oheim diese Lehre vortragen;
sie zieht sich durch sein ganzes Buch, und erscheint am schönsten
in der Erzählung von Krösos und dem weisen Solon, der einige
einfache edle Bürger, die ihr Leben wohl vollendet haben, glück-
lich preist vor dem mit seinen Schätzen prunkenden König, welcher
dann bald auf dem Scheiterhaufen der Worte Solon's gedenken
muß, aber durch sie gerettet wird und sie dem Kyros als eine heil-
bringende Mahnung vermacht.
Dieser gottesfürchtigen Betrachtungsweise Herodot's ist eine
dichterische Freude an allem Großen und Staunenerregenden, an
den Wundern der Ferne und des orientalischen Alterthums gesellt,
von denen er treuherzig berichtet was er selber gesehen und was
er gehört, die Verantwortung für manches schwer Glaubliche seinen
Gewährsmännern überlassend. Die neuern Forschungen und Eut-
Carrierc. II. 2. Aufl. 14
 
Annotationen