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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 5): Das Weltalter des Geistes im Aufgange, Literatur und Kunst im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert — Leipzig, 1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.33539#0182

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Langsames Aufstreben in Deutschland.

Langsames AuMrcbeu ur Deutschland.
Während England nnd Frankreich ihre inne Literatur an deren
Blüte ini 17. Jahrhundert anknüpften, konnte Deutschland leider
nicht das Gleiche thnu. Die jesuitische Gegenreformation, die Er-
starrung des Lntherthums in: Dogma, die theologischen Zänkereien
hatten schon im 16. Jahrhundert die freudige Entwickelung unter-
brochen; dann zerrüttete und verwüstete der dreißigjährige Krieg
das Land, brachte es unter den Einfluß der Fremdherrschaft nnd
ließ das zersplitterte Volk unter mehr als dreihnndertsechzig Son-
verainetäten ein klägliches Dasein führen, während die Großen
französisch redeten nnd nach dem Muster voll Versailles Schlösser
bauten, Soldaten nnd Maitresfen hielten. Wir haben früher ge-
sehen wie diese Zustände sich in der Poesie spiegelten, wie aber
immer noch die gesunde Kraft in einzelnen Geistern unerloschen war
nnd darum die Hoffnung auf Genesung lebendig blieb, wie sehr
immerhin das Gelehrtenthum in geschmackloser Pedantsrei, das
Studententhum in Wüstheit sich gefiel, das verarmte Bürgerthnm
in Philisterhastigkeit und Kriecherei seiner Kraft nnd Würde ver-
gessen mochte. Dennoch leuchtete trotz dieses Verfalls die Herrlich-
keit des deutschen Geistes in einigen großen Männern; wir lernten
sie kennen. In der Musik kam das Volksgemüth und die Kunst
bereits bei Händel nnd Bach zu der innigen Durchdringung welche
bis zu Lessing hin das Ideal der Poesie blieb; ans dem Felde der
Wissenschaft war Leibniz der rastlose Anreger nnd Erwecker; wer
könnte sie ans den vorhandenen Zuständen ableiten wollen, wer
möchte verkennen wie nothwendig die gottbegeisterteu Heroen sind
um ein Volk emporzuführen?
Ans politischem Gebiet schließt als solch ein providenzieller
Held der große Churfürst von Brandenburg ihnen sich an. Wenn
er auch den Franzosen gegenüber noch mit dem Vergilischcn Vers
ans den Rächer verweisen mußte der ans seinen Gebeinen erstehen
sollte, die Schweden schlug er miss Haupt, die Selbständigkeit
Preußens erkämpfte er, und durch Waffentüchtigkeit, sparsamen
Staatshaushalt, geordnete Verwaltung und religiöse Freisinnigkeit
schuf er den Kern nnd legte er den Grund eines neuen deutschen
Staats; während Oesterreich mit dem Ausland, Baiern mit dem
romanischen Jesnitismns verwachsen war, setzte sein Sohn sich die
preußische Königskrone aufs Haupt, und stiftete die Hausmackt für
 
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