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Kunstsalon Paul Cassirer; Wilke, Rudolf [Ill.]
Rudolf Wilke: <1873-1908> : Juni-Juli 1917, neunte Ausstellung — Berlin: Paul Cassirer, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.74435#0005
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Rudolf Wilke

Das Gebiet der Karikatur wird der „hohen Kunst" fast
immer als etwas unbedingt Untergeordnetes gegen-
übergestellt. Vom rein ästhetischen Gesichtspunkte aus be-
trachtet, läßt sich diese Wertung nicht halten. Zur Karikatur
kommt ein Mensch, dessen Wesen statt auf das harmonisch
Ausgleichende auf das disharmonisch Zerrissene der Welt
gerichtet ist, dessen schöpferische Kraft die Taten der
Schöpfungstage kritisch betrachtet. Es handelt sich also um
eine besondere Weise der Anschauung, die dem Menschen
eingeboren und deshalb ebenso schwer zu werten ist wie
eine philosophische Richtung. Es gibt Arbeiten der so-
genannten „hohen Kunst", die wir kaum dem Gebiete
zurechnen, das uns Kunst ist, und es gibt Karikaturen, die
man da an erste Stelle setzen muß. Man denke nur an
Daumier, Toulouse-Lautrec oder Wilhelm Busch. Rudolf
Wilke zähle ich zu diesen, — das sei gleich hier vorweg-
genommen.
Ganz allgemein könnte man Karikatur alles das nennen,
was am Objekt besondere Momente beobachtet, hervorhebt
und unterstreicht. Aber man sträubt sich beinahe, die
Zeichnungen Wilkes in diesem Sinne zu nehmen, weil
ihnen das einseitig Zugespitzte oder Vergröberte fehlt.
Wilke hat die Idee von einem Strolch, einem Philister, einem
Tagedieb, einem Frauenzimmer, und diese Idee ist in ihm
bereits geformt. Gewiß, er sah der Natur scharf ins Gesicht,
aber seine Schöpfungen wurzeln nicht in ihr, sind nicht
Individuen, sondern Typen. Man kann beobachten, wie er
verfährt, wie die Form im Großen zuerst in ihm entsteht.
 
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