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Verlag Bruno Cassirer
Almanach: auf das Jahr ... — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.70232#0045
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EIN WORT ZUR KUNST DES FERNEN
OSTENS / VON WILLIAM COHN

i.
Man hat in Europa den Zusammenhang mit demLeben
verloren. Kalt rechnender Verstand, auflösende
Wissenschaft, nie rastende Technik und jagender Fort-
schritt, Egoismus und Utilitarismus sind die allverehr-
ten Gottheiten. Sie mußten ins Verderben führen. Das
ist heute vielen klar geworden. Sehnsuchtsvoll wendet
sich der Blick immer öfter nach dem fernen Osten, wo
andere Ideale gelten. Der ferne Osten, soweit der alte
Geist nicht mit europäischem Gift infiziert ist, scheint
im Grunde westlichem Leben und Weben geradezu ent-
gegengesetzt zu sein. Nicht Rastlosigkeit, sondern Selbst-
besinnung, nicht wissenschaftliche Zersetzung, sondern
tiefe Religiosität, nicht Ichanbetung, sondern Ehrfurcht,
nicht Fortschrittstaumel, sondern Vertiefung bestimmen
die Lebensbahnen. Man wird sich staunend bewußt,
daß dieses China, äußerlich so oft macht- und kraft-
los, dank dem Zauber seiner einheitlichen Weltanschau-
ung, ohne in seinen Grundfesten zu wanken, die Jahr-
tausende überdauert hat. Ist doch die Kontinuität seiner
Kultur niemals ernstlich unterbrochen worden. Japan
scheint in der Zeit seiner bewußten Abgeschlossenheit
so viel Kraft aufgespeichert zu haben, daß ihm womög-
lich eine Verknüpfung östlichen und westlichen Wollens
gelingen wird. Und sogar dieses Indien, oft genug ein
Opfer fremder Eroberer, scheint noch Willen genug zu
besitzen, seine alte Kultur zu bewahren, ja auszubauen.
Immer weitere Kreise ahnen diese Tatsachen, ja er-
 
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