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Almanach 1920

hoffen sogar geistige Hilfe vom fernen Osten. Ich denke
da etwa an die Schriften vom Grafen Keyserling, von
Rudolf Kaßner, Paul Ernst und Theodor Lessing. Und
schon hat dieser und jener Ostasiate Europas schwörende
Wunden erkannt. Ku Hung-mings scharfe Ironie und
Tagores trauervolle Anklagen haben manchen Euro-
päerhochmut stutzig gemacht.
2.
Stolz auf die ungeahnten Errungenschaften seiner
Wissenschaft und Technik, stolz auf den „Fortschritt“
sah und sieht Europa und Amerika verächtlich auf die
„Halbkulturen“desfernenOstens herab,nicht zuletztauch
auf seine Kunst. Man lasse sich nicht täuschen durch die
Begeisterung einiger Ästheten etwa für chinesische Por-
zellane oder für japanische Holzschnitte. Das ist meist
nur die Freude übersättigter Nerven an der „Exotik“.
Man spielt mit diesen Dingen, und als Spielereien wer-
den die fernöstlichen Schöpfungen empfunden. Im
Grunde gilt diesen Genießern in gleicher Weise das
Dogma der Überlegenheit europäischer Kultur wie euro-
päischer Kunst. Es dürfte aber für den Westen ratsam
sein, recht bescheiden zu werden. Es könnte einmal
zum Lernen zu spät sein. Vielleicht wäre schon etwas
gewonnen, wenn uns gewisse in Ostasien geschaffene
Kunstw’erte nicht mehr ganz fremd anmuteten. Wer
sich einmal tief versenkt hat in chinesische oder japa-
nische Landschafts- oder Menschendarstellungen von
wirklicher Meisterhand, spröde und zurückhaltend in
den Mitteln, ohne Farben, ohne perspektivische An-
sprüche, aller Ausdruck zusammengeballt in nur wenige
 
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