VOM SÜSSEN UND VOM SAUREN KITSCH
VON CURT GLASER
Das Wort „Kitsch“ gilt heute den meisten noch
nicht für ganz literaturfähig. Es wird ebensooft
in gesprochenen wie selten in geschriebenen Erörterun-
gen über Kunst gebraucht. Man scheut sich vor ihm,
weil es wohl ein wenig burschikos klingt. Aber man
muß sich gewöhnen, mit einem Begriff zu rechnen,
der notwendig und unersetzlich ist zur Bezeichnung
eines Tatbestandes, der mit keinem anderen, gleich-
wertigen Worte, der kaum mit einer langatmigen
Definition zu umschreiben ist.
Kitsch bezeichnet etwa den Gegenbegriff des theo-
retisch ebenso unfaßbaren Wortes „Qualität“, mit dem
die Kundigen sich über eine Eigenschaft des Kunst-
werkes verständigen, die das so mißbrauchte wie miß-
verständliche Wort „schön“ seit langem schon nicht
mehr deckte. Aber während das Wort Qualität von
jeder beengenden Determination frei blieb und auf eine
chinesische Vase ebenso anwendbar ist wie auf ein
Rembrandtsches Gemälde, haftet dem Begriff des Kit-
sches eine bestimmte Vorstellung einer Art von Kunst,
auf die es zuerst Anwendung fand, so sehr an, daß
eine Scheu bleibt, dem Worte seine rechte und weitere
und allgemeine Bedeutung zu geben. Es tauchen Er-
innerungen an alle Schrecken der Glaspalastausstellun-
gen in Moabit und München, in Paris und Venedig,
in jeder Hauptstadt der alten und der neuen Welt
empor, wenn das klangvolle Wort „Kitsch“ ertönt.
Nathanael Sichels süße Mädchen mit den dunkel um-
VON CURT GLASER
Das Wort „Kitsch“ gilt heute den meisten noch
nicht für ganz literaturfähig. Es wird ebensooft
in gesprochenen wie selten in geschriebenen Erörterun-
gen über Kunst gebraucht. Man scheut sich vor ihm,
weil es wohl ein wenig burschikos klingt. Aber man
muß sich gewöhnen, mit einem Begriff zu rechnen,
der notwendig und unersetzlich ist zur Bezeichnung
eines Tatbestandes, der mit keinem anderen, gleich-
wertigen Worte, der kaum mit einer langatmigen
Definition zu umschreiben ist.
Kitsch bezeichnet etwa den Gegenbegriff des theo-
retisch ebenso unfaßbaren Wortes „Qualität“, mit dem
die Kundigen sich über eine Eigenschaft des Kunst-
werkes verständigen, die das so mißbrauchte wie miß-
verständliche Wort „schön“ seit langem schon nicht
mehr deckte. Aber während das Wort Qualität von
jeder beengenden Determination frei blieb und auf eine
chinesische Vase ebenso anwendbar ist wie auf ein
Rembrandtsches Gemälde, haftet dem Begriff des Kit-
sches eine bestimmte Vorstellung einer Art von Kunst,
auf die es zuerst Anwendung fand, so sehr an, daß
eine Scheu bleibt, dem Worte seine rechte und weitere
und allgemeine Bedeutung zu geben. Es tauchen Er-
innerungen an alle Schrecken der Glaspalastausstellun-
gen in Moabit und München, in Paris und Venedig,
in jeder Hauptstadt der alten und der neuen Welt
empor, wenn das klangvolle Wort „Kitsch“ ertönt.
Nathanael Sichels süße Mädchen mit den dunkel um-