I 12
Almanach 1920
Es verschwand schließlich zur selben Zeit und aus
den gleichen Ursachen, die auch in einem zäheren und
längeren Kampfe das alte Berlin vom Boden ver-
schwinden ließen. In dem Maße, wie das schöne Buch
industrialisiert wurde, wurde es auch proletarisiert.
Die mechanischen Reproduktionsverfahren verdrängten
den von künstlerischem Ehrgeiz belebten Holzschnitt,
das plebejische Prinzip möglichster Billigkeit brachte
notwendigerweise eine Senkung des Niveaus mit sich.
Menzels „Zerbrochener Krug“ enthielt in der ersten
Berliner Ausgabe die vier Hauptblätter nur noch in
photographischer Wiedergabe. Völlig verwüstend wirk-
ten dann die wischigen und unscharfen Auto- und
Zinkotypien, die sich nicht mehr harmonisch mit der
Gratigkeit der Type verbanden, in mißverstandener
„malerischer Freiheit“ über den Satzspiegel heraus-
quollen und durch den Anschein der Freihändigkeit
die streng geschiedenen Formen und Grundsätze des
gedruckten und des geschriebenen Buches verwirrten.
Auch der Einband, ein Kapitel für sich, das hier nur
im Vorübergehen gestreift werden kann, verlor an
Solidität des Materiales wie an Geschmack der Aus-
führung. Das schöne Buch der 1870er und 1880er
Jahre in farbigem, meist grellrotem Kaliko mit überreich
aufgepreßtem Golddruck in Schrift und Bild ist nur
eine Verzerrung, der die gleiche Geschmacksverwilde-
rung zugrunde liegt wie den Fassaden der Gründer-
zeit und des neuen Kaiserreiches. Im 6. Bande von
Kunst und Altertum durfte Goethe noch die Buch-
binderarbeiten Carl Lehmanns rühmen, die „mit eng-
lischen und französischen Einbänden gar wohl wett-
Almanach 1920
Es verschwand schließlich zur selben Zeit und aus
den gleichen Ursachen, die auch in einem zäheren und
längeren Kampfe das alte Berlin vom Boden ver-
schwinden ließen. In dem Maße, wie das schöne Buch
industrialisiert wurde, wurde es auch proletarisiert.
Die mechanischen Reproduktionsverfahren verdrängten
den von künstlerischem Ehrgeiz belebten Holzschnitt,
das plebejische Prinzip möglichster Billigkeit brachte
notwendigerweise eine Senkung des Niveaus mit sich.
Menzels „Zerbrochener Krug“ enthielt in der ersten
Berliner Ausgabe die vier Hauptblätter nur noch in
photographischer Wiedergabe. Völlig verwüstend wirk-
ten dann die wischigen und unscharfen Auto- und
Zinkotypien, die sich nicht mehr harmonisch mit der
Gratigkeit der Type verbanden, in mißverstandener
„malerischer Freiheit“ über den Satzspiegel heraus-
quollen und durch den Anschein der Freihändigkeit
die streng geschiedenen Formen und Grundsätze des
gedruckten und des geschriebenen Buches verwirrten.
Auch der Einband, ein Kapitel für sich, das hier nur
im Vorübergehen gestreift werden kann, verlor an
Solidität des Materiales wie an Geschmack der Aus-
führung. Das schöne Buch der 1870er und 1880er
Jahre in farbigem, meist grellrotem Kaliko mit überreich
aufgepreßtem Golddruck in Schrift und Bild ist nur
eine Verzerrung, der die gleiche Geschmacksverwilde-
rung zugrunde liegt wie den Fassaden der Gründer-
zeit und des neuen Kaiserreiches. Im 6. Bande von
Kunst und Altertum durfte Goethe noch die Buch-
binderarbeiten Carl Lehmanns rühmen, die „mit eng-
lischen und französischen Einbänden gar wohl wett-