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Verlag Bruno Cassirer
Almanach: auf das Jahr ... — 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.70232#0171
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DAS BUCH UND DIE PRESSE / EINE GLOSSE
In der Zeitung ist zu lesen, daß Herr A. ein neues
Drama geschrieben hat. Nach drei Tagen wird mit-
geteilt, wie das Drama heißt, nach weiteren drei Tagen,
bei welcher Bühne es angenommen ist. Später erscheinen
Notizen, welche Schauspieler die Hauptrollen spielen
werden, wer die Dekorationen malt, und daß der Dichter
selbst bei den Proben anwesend ist. Endlich wird das Stück
aufgeführt. Am nächsten Morgen erscheint eine Nacht-
kritik und abends dann eine ausführliche Besprechung.
In vier Spalten wird dargetan, daß das Drama nichts
taugt und daß es ein Mißerfolg war. Trotzdem wird
jedesmal wieder eine Notiz gedruckt, wenn das Stück
am Theater einer anderen Stadt angenommen ist, wenn
es dort aufgeführt wird und auch dort durchfällt.
Frau B., die berühmte Schauspielerin, ist für ein
Theater in Berlin verpflichtet worden. Nun prasseln die
Zeitungsnotizen von allen Seiten. Es werden die Rol-
len aufgezählt, in denen sie sich zeigen soll. Sie wird
äußerlich und innerlich beschrieben, und es wird mit-
geteilt, was sie gesagt hat. Sie ist krank. Nein, sie ist
gesund. Sie hat sich verheiratet. Sie ist kontraktbrüchig.
Sie hat sich entschlossen, eine Kinorolle zu übernehmen.
Und bei der Premiere sind ihr Ovationen dargebracht
worden.
Inzwischen hat Herr C., ein großer, aber stiller Ge-
lehrter, nach vieljähriger Arbeit ein Werk vollendet,
das berufen ist, ein Jahrhundert lang auf die Kultur
zu wirken, das noch jung sein wird wie am ersten
Tag, wenn kein Mensch mehr etwas von jenem Dichter
 
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