Arthur Eloesser: Tolstoj
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liehen Komödie entdeckt, so ist er ein Verführter, der
wieder verführt, ein Berauschter, der wieder berauschen
will, ein Gewalttätiger, der einen bewundernden Leser,
ein Magier, der einen verzauberten braucht. Wenn er eine
seiner Herzoginnen schmückt, so macht er ihr den Hof;
wenn er eine seiner Kraftnaturen aufbläst, so genießt er ihre
Machtbegierde. Tolstojs heilige Kraft, um mit Homer zu
sprechen, beweist sich schon in seinen ersten großen
Romanen, mit ihrer ruhigen Sachlichkeit, mit einer-
breiten Gelassenheit, die sich nie zu stauen braucht, mit
einer gleichmäßigen Stromstärke und Stromtiefe, die
zwischen kaum noch erkenntlichen Ufern ungeheure
Lasten vorwärtsbewegt. Tolstojs Werk gleicht einem der
geduldigen russischen Riesenströme, die auch den Men-
schen geduldig machen, und die wenigstens für unsere
Augen noch viel mehr der Natur als der Geschichte an-
gehören. „Krieg im Frieden“, der erste große Roman,
spannt sich fast unübersehbar über Morgen- und Abend-
land. Wenn Napoleon in Rußland einbricht, so ist es
Rußland selbst, die Natur des Landes und des Volkes, das
mit seinem kindischen Ehrgeiz fertig wird. Tolstoj ist
aus Natürlichkeit respektlos, wenn es sich um Ereig-
nisse der Geschichte, um Erfolge der Zivilisation, um
Genie und Ruhm handelt. Sein Maßstab ist nie der
einer großen Persönlichkeit, eines sogenannten schöpfe,
rischen Menschen, eines wie glänzend auch vertretenen
Gedankens des Fortschritts, aber er ist voll Ehrfurcht
gegen den einfachen Menschenverstand, gegen alles,
was sich, wenn auch unbenannt, groß und dauernd
behauptet, durch Schlichtheit, Herzensgüte, Wahrhaftig-
keit.
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liehen Komödie entdeckt, so ist er ein Verführter, der
wieder verführt, ein Berauschter, der wieder berauschen
will, ein Gewalttätiger, der einen bewundernden Leser,
ein Magier, der einen verzauberten braucht. Wenn er eine
seiner Herzoginnen schmückt, so macht er ihr den Hof;
wenn er eine seiner Kraftnaturen aufbläst, so genießt er ihre
Machtbegierde. Tolstojs heilige Kraft, um mit Homer zu
sprechen, beweist sich schon in seinen ersten großen
Romanen, mit ihrer ruhigen Sachlichkeit, mit einer-
breiten Gelassenheit, die sich nie zu stauen braucht, mit
einer gleichmäßigen Stromstärke und Stromtiefe, die
zwischen kaum noch erkenntlichen Ufern ungeheure
Lasten vorwärtsbewegt. Tolstojs Werk gleicht einem der
geduldigen russischen Riesenströme, die auch den Men-
schen geduldig machen, und die wenigstens für unsere
Augen noch viel mehr der Natur als der Geschichte an-
gehören. „Krieg im Frieden“, der erste große Roman,
spannt sich fast unübersehbar über Morgen- und Abend-
land. Wenn Napoleon in Rußland einbricht, so ist es
Rußland selbst, die Natur des Landes und des Volkes, das
mit seinem kindischen Ehrgeiz fertig wird. Tolstoj ist
aus Natürlichkeit respektlos, wenn es sich um Ereig-
nisse der Geschichte, um Erfolge der Zivilisation, um
Genie und Ruhm handelt. Sein Maßstab ist nie der
einer großen Persönlichkeit, eines sogenannten schöpfe,
rischen Menschen, eines wie glänzend auch vertretenen
Gedankens des Fortschritts, aber er ist voll Ehrfurcht
gegen den einfachen Menschenverstand, gegen alles,
was sich, wenn auch unbenannt, groß und dauernd
behauptet, durch Schlichtheit, Herzensgüte, Wahrhaftig-
keit.