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Karl Scheffler: Romantik

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Tatsache, endgültig ergriff der Bürger die Zügel der Selbst-
regierung. Die Idee des Bürgertums wurde zum zweiten-
mal geboren. Liberalismus und Bürgertum sind fast das-
selbe. Selbst der Bürger, der politisch ganz rechts steht,
streift mit dem Ärmel immer noch die liberale Gesinnung.
.Tuste-Milieu hat man in der Folge die bürgerliche Zeit-
gesinnung genannt und ihrer gespottet. Es gibt jedoch
nichts zu spotten, denn jede Position in der Mitte ist stark,
sie ist am festesten im Staat und in der Gesellschaft. Nur
von der Mitte aus kann ein Ganzes bewegt werden. Bürger-
liche Parteien sind immer Mittelparteien. Im Liberalismus
trat das Bürgertum des neunzehnten Jahrhunderts erst ganz
bewußt alsB ürgertumansLicht derGeschichte.DieRoman-
tik aber war der Geist des Liberalismus, war seine Welt-
anschauung. Die Romantik ist so betrachtet in der Tat
eine Weltanschauung mit eigenenW ahrheiten und Lügen.
Sie hat praktischen Humanismus verkündet, hat National-
gefühl und Weltbürgertum, Christentum und Pantheis-
mus, Kirche und Wissenschaft, Idealismus und Materialis-
mus ins gleiche gebracht und der bürgerlichen Gesellschaft
eine neue Kunst geschenkt. Sie zeigte neue Möglichkeiten.
Es entstand die Industrie, diese zweischneidige Waffe
des Liberalismus. Der erste Dampfer fuhr damals über
den Ozean, die ersten Lokomotiven wurden gebaut, der
Telegraph wurde erfunden. Die Menschen traten über
weite Entfernungen hin miteinander in Verbindung, sie
begannen zu reisen, der Weltverkehr setzte ein und gab
der Phantasie mächtig zu tun. Möglichkeiten des Welt-
handels, der Weltwirtschaft taten sich auf; der Sinn wurde
ins Weite und Fremde gelockt, die Einbildungskraft er-
oberte das Exotische. Damals wurde das Geld zur Groß-
 
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