feinern Menſchen beſchleicht, wenn er ſich aus dem Stru-
del der gemeinern Klaſſen geworfen ſieht, ſetzte ich mich
mit meinem Gefaͤhrten in eine Ecke und verlangte vor der
Hand eine Flaſche Wein. Ich hatte noch nicht das zweite
Glas zu mir genommen, als ich im Nebenzimmer —
wer haͤtte es hier ſuchen wollen — ein Fortepiano erblickte.
Aller Schmerz, von dem wackern Durchſchuͤtteln auf dem
Wagen, war verſchwunden, das Herz lachte mir und ich
haͤtte um vieles Geld mich nicht enthalten koͤnnen, in die
Saiten zu ſtuͤrmen. Das Inſtrument war gut und ich wuhlte
recht mit Behaglichkeit — ja ich moͤchte ſagen mit Begei-
ſterung — verſteht ſich ſo gut ich es vermag — in den ſchoͤ⸗
nen runden und vollen Toͤnen. Jetzt wurde mir auch die
Stimme lebendig, mein Gefaͤhrte ſecundirte zu dem Ge-
ſange; wir waren in der beßten Stimmung. In einem
wahren Wonnegefuͤhl ſchlug ich die Augen empor und ſtarrte
entzuͤckt nach der Wand: „Welch ein herrliches Maͤdchen!“
rief ich aus. Verdrießlich ſtand der Kaplan auf und ſchien
über die unzeitige Unterbrechung zu grollen. Mir aber
ſtanden die Finger ſtill und nochmals rief ich aus: „O, das
iſt ja ein herrliches Maͤdchen!“ Ueber dem Pianoforte
hing in vergoldetem Rahmen, ein entzuückendes Bild. Ein
anderes hing darneben, tief in Flor gehullt! „Gott, wer
mag dieſer Engel ſeyn? Freund, kommen Sie doch, ſehen
Sie doch!“ Ich hatte vergeſſen, daß mein Gefährte ein
katholiſcher Geiſtlicher war, der wenigſtens den Schein
meiden muß.
„Wenn es Ihnen gefallig iſt, das Eſſen iſt aufgetragen,⸗
fluͤſterte eine ſüße, klangvolle weibliche Stimme hinter mir.
Unwillig drehete ich mich um. Aber wie zur Bildſäule ge-
worden blickte ich hin. Das herrliche Original ſtand in ein-
fachem reizendem Hausſchmuck lebendig vor mir. Jetzt erſt
ſah ich, wie viel noch der Maler vergeffen hatte, und
war dieſem Menſchen ordentlich boͤſe. Waͤr' ich doch gleich
ein Maler geweſen! Der Kaplan trommelte den Parade-
marſch an den Fenſterſcheiben. „Nun, lieber Kaplan“, rief
ich, als ich mich von meiner Ueberraſchung erholt hatte,
„kommen Sie doch, das Eſſen wird kalt!“ Ich hatte noch
nicht geendiget, ſo ſaß er ſchon und ſchlürfte den koͤſtlichen
Geruch des dampfenden Fleiſches ein.
Unſere freundliche Wirthin ſetzte ſich uns traulich zur
Seite. Ich mußte geſtehen, noch nie hatte ich ſo viel ed-
len Anſtand mit lieblicher Unbefangenheit gepaaͤrt bei einem
Maͤdchen gefunden, als bei Hannchen. Die großen brau-
nen Augen blickten rein, klar und — tief zum Herzen
hinab. Aber ein verzehrender Harm der ſich unbeſcheiden
auf die lieblich gerundeten Wangen draͤngte, ſchien trübe
und duſter in ihrer Seele zu lagern.
„Aber warum haben Sie jenes Bild verſchleiert?“ fraͤgte
ich endlich. Sie blickte betroffen zur Erde; dann ſchlug ſie
die Augen auf und ſagte mit einem tiefen — tiefen Seufzer:
„Wir waren verlobt!“ „
Wie ſehr haͤtte ich jetzt gewünſcht, geſchwiegen zu haben.
Hannchen ſtand auf, trocknete mit dem weißen Schuͤrzchen
eine Thraͤne von ihrer Wange und ging ſchweigend, von
ſchmerzlichen Erinnerungen ergriffen, hinaus. Ich konnte
mich nicht enthalten, zog den Flor hinweg, und — nun Hann-
chen hatte gut gewahlt gehabt.
„IJetzt iſt die Reihe⸗ an Ihnen, mein lieber Kaplan!
Sie müſſen mir wieder gut machen', was ich verdarb.“
„Ja, ja, ſo geht es immer. Gut machen, was andere
verderben.e“
Hannchen trug auf. Sie ſchien gefaßter.
„Setze dich wieder zu uns, liebes Hannchen. Ich habe
dein Herz verwundet?⸗
„Ach nein!
Ich weiß ja doch, daß ich ihn hier nicht
wieder ſehe.“ ö
„Ey,“ fiel der Kaplan ein, „ſo muß man nicht denken,
mein liebes Kind. Man ehrt zwar das Andenken Verſtor-
bener, aber man muß auch auf ſein Leben, das der Schöͤ⸗
pfer zur Freude guter Eltern gegeben hat, bedacht ſeyn.“
Hannchen ſchien über dieſen Punkt einig zu ſeyn. Wir
endigten unſer Mahl.
floſſen die Stunden dahin.
und in den Thaͤlern lag Dammerung.
„Kaplan,“ rief ich jetzt erſchrocken aufſpringend, „wir
vergeſſen, daß wir heute noch fort muſſen, wenn wir Mor-
gen zu Tiſch in Karlsruhe ſeyn wollen!“
„Alle Wetter, Sie haben recht!“
Vereint traten wir jetzt den Weg durch die Stadt an,
um irgend ein Fuhrwerk aufzutreiben.
der Heimreiſe begriffen ſind, ein bischen gar zu koſtſpie-
lig. Gerne haͤtten wir jetzt wieder unſern alten Platz
unter dem durchloͤcherten Leinwanddach eingenommen. Un-
ſchlüſſig blickten wir einander an.
„Friſch Herr Kaplan,“ rief ich jetzt — wir wandern zu
Fuß bis nach Schwieberdingen, dort uͤbernachten wir; mit x
dem früheſten Morgen eilen wir nach Pforzheim. Dort
giebt es gewiß Gelegenheit und zeitlich genug kommen wir
dann noch zu Tiſche nach Karlsruhe.“ ö
Der Kaplan ſchauete zweifelhaft nach der Sonne. Sie
ſtand bereits tief am Berge und alle Baumſpitzen empfin⸗ x
gen ſchon den letzten vergoldenden Blick.
„Wie iſt denn der Weg dahin 2fragte er nach einem
bedenklichen. Stillſchweigen.
„Wie kann ich es wiſſen? Ich habe ihn ja in meinem
Leben noch nicht geſehen.“
„Die Nacht iſt Niemands Freund.“
„Ey, Sie werden ſich doch hoffentlich nicht vor Geiſtern ö
fuͤrchten? So ein heiliger Mann, wie Sie, der iſt Klauen⸗ x
feſt, und ſollte auch wirklich Etwas kommen, ſo werden 4
Sie ja doch eine kleine Beſchwöͤrungsformel auswendig *
So lange es Tag bleiht, unterrichten Sie
ſollte uns
die Nacht überraſchen, und wir zur ſchauerlichen Geiſter-
ſtunde noch nicht in den Hafen der Ruhe geſegelt ſeyn, 0
lernt haben?
mich auf dem Wege, was ich dabei thun kann;
koͤnnen wir doch getroſt erwarten, was da kommen mag.
„Scherzen Sie nur. Geiſter furchte ich nicht, aber —“
„Ey, was mit Ihrem Aber.
Unter ſchwermüthigen Geſprächen —
Schon ſank die Sonne herab, ö
Allein Vergeblich.
Alle Retour-Chaiſen waren bereits laͤngſt abgefahren, und
einen eigenen Wagen zu nehmen, war fuͤr Leute, die auf
r. Blicken Sie auf! Dort
ſchwebt auch ſchon der Mond — zwar noch blaß und waͤ⸗3
del der gemeinern Klaſſen geworfen ſieht, ſetzte ich mich
mit meinem Gefaͤhrten in eine Ecke und verlangte vor der
Hand eine Flaſche Wein. Ich hatte noch nicht das zweite
Glas zu mir genommen, als ich im Nebenzimmer —
wer haͤtte es hier ſuchen wollen — ein Fortepiano erblickte.
Aller Schmerz, von dem wackern Durchſchuͤtteln auf dem
Wagen, war verſchwunden, das Herz lachte mir und ich
haͤtte um vieles Geld mich nicht enthalten koͤnnen, in die
Saiten zu ſtuͤrmen. Das Inſtrument war gut und ich wuhlte
recht mit Behaglichkeit — ja ich moͤchte ſagen mit Begei-
ſterung — verſteht ſich ſo gut ich es vermag — in den ſchoͤ⸗
nen runden und vollen Toͤnen. Jetzt wurde mir auch die
Stimme lebendig, mein Gefaͤhrte ſecundirte zu dem Ge-
ſange; wir waren in der beßten Stimmung. In einem
wahren Wonnegefuͤhl ſchlug ich die Augen empor und ſtarrte
entzuͤckt nach der Wand: „Welch ein herrliches Maͤdchen!“
rief ich aus. Verdrießlich ſtand der Kaplan auf und ſchien
über die unzeitige Unterbrechung zu grollen. Mir aber
ſtanden die Finger ſtill und nochmals rief ich aus: „O, das
iſt ja ein herrliches Maͤdchen!“ Ueber dem Pianoforte
hing in vergoldetem Rahmen, ein entzuückendes Bild. Ein
anderes hing darneben, tief in Flor gehullt! „Gott, wer
mag dieſer Engel ſeyn? Freund, kommen Sie doch, ſehen
Sie doch!“ Ich hatte vergeſſen, daß mein Gefährte ein
katholiſcher Geiſtlicher war, der wenigſtens den Schein
meiden muß.
„Wenn es Ihnen gefallig iſt, das Eſſen iſt aufgetragen,⸗
fluͤſterte eine ſüße, klangvolle weibliche Stimme hinter mir.
Unwillig drehete ich mich um. Aber wie zur Bildſäule ge-
worden blickte ich hin. Das herrliche Original ſtand in ein-
fachem reizendem Hausſchmuck lebendig vor mir. Jetzt erſt
ſah ich, wie viel noch der Maler vergeffen hatte, und
war dieſem Menſchen ordentlich boͤſe. Waͤr' ich doch gleich
ein Maler geweſen! Der Kaplan trommelte den Parade-
marſch an den Fenſterſcheiben. „Nun, lieber Kaplan“, rief
ich, als ich mich von meiner Ueberraſchung erholt hatte,
„kommen Sie doch, das Eſſen wird kalt!“ Ich hatte noch
nicht geendiget, ſo ſaß er ſchon und ſchlürfte den koͤſtlichen
Geruch des dampfenden Fleiſches ein.
Unſere freundliche Wirthin ſetzte ſich uns traulich zur
Seite. Ich mußte geſtehen, noch nie hatte ich ſo viel ed-
len Anſtand mit lieblicher Unbefangenheit gepaaͤrt bei einem
Maͤdchen gefunden, als bei Hannchen. Die großen brau-
nen Augen blickten rein, klar und — tief zum Herzen
hinab. Aber ein verzehrender Harm der ſich unbeſcheiden
auf die lieblich gerundeten Wangen draͤngte, ſchien trübe
und duſter in ihrer Seele zu lagern.
„Aber warum haben Sie jenes Bild verſchleiert?“ fraͤgte
ich endlich. Sie blickte betroffen zur Erde; dann ſchlug ſie
die Augen auf und ſagte mit einem tiefen — tiefen Seufzer:
„Wir waren verlobt!“ „
Wie ſehr haͤtte ich jetzt gewünſcht, geſchwiegen zu haben.
Hannchen ſtand auf, trocknete mit dem weißen Schuͤrzchen
eine Thraͤne von ihrer Wange und ging ſchweigend, von
ſchmerzlichen Erinnerungen ergriffen, hinaus. Ich konnte
mich nicht enthalten, zog den Flor hinweg, und — nun Hann-
chen hatte gut gewahlt gehabt.
„IJetzt iſt die Reihe⸗ an Ihnen, mein lieber Kaplan!
Sie müſſen mir wieder gut machen', was ich verdarb.“
„Ja, ja, ſo geht es immer. Gut machen, was andere
verderben.e“
Hannchen trug auf. Sie ſchien gefaßter.
„Setze dich wieder zu uns, liebes Hannchen. Ich habe
dein Herz verwundet?⸗
„Ach nein!
Ich weiß ja doch, daß ich ihn hier nicht
wieder ſehe.“ ö
„Ey,“ fiel der Kaplan ein, „ſo muß man nicht denken,
mein liebes Kind. Man ehrt zwar das Andenken Verſtor-
bener, aber man muß auch auf ſein Leben, das der Schöͤ⸗
pfer zur Freude guter Eltern gegeben hat, bedacht ſeyn.“
Hannchen ſchien über dieſen Punkt einig zu ſeyn. Wir
endigten unſer Mahl.
floſſen die Stunden dahin.
und in den Thaͤlern lag Dammerung.
„Kaplan,“ rief ich jetzt erſchrocken aufſpringend, „wir
vergeſſen, daß wir heute noch fort muſſen, wenn wir Mor-
gen zu Tiſch in Karlsruhe ſeyn wollen!“
„Alle Wetter, Sie haben recht!“
Vereint traten wir jetzt den Weg durch die Stadt an,
um irgend ein Fuhrwerk aufzutreiben.
der Heimreiſe begriffen ſind, ein bischen gar zu koſtſpie-
lig. Gerne haͤtten wir jetzt wieder unſern alten Platz
unter dem durchloͤcherten Leinwanddach eingenommen. Un-
ſchlüſſig blickten wir einander an.
„Friſch Herr Kaplan,“ rief ich jetzt — wir wandern zu
Fuß bis nach Schwieberdingen, dort uͤbernachten wir; mit x
dem früheſten Morgen eilen wir nach Pforzheim. Dort
giebt es gewiß Gelegenheit und zeitlich genug kommen wir
dann noch zu Tiſche nach Karlsruhe.“ ö
Der Kaplan ſchauete zweifelhaft nach der Sonne. Sie
ſtand bereits tief am Berge und alle Baumſpitzen empfin⸗ x
gen ſchon den letzten vergoldenden Blick.
„Wie iſt denn der Weg dahin 2fragte er nach einem
bedenklichen. Stillſchweigen.
„Wie kann ich es wiſſen? Ich habe ihn ja in meinem
Leben noch nicht geſehen.“
„Die Nacht iſt Niemands Freund.“
„Ey, Sie werden ſich doch hoffentlich nicht vor Geiſtern ö
fuͤrchten? So ein heiliger Mann, wie Sie, der iſt Klauen⸗ x
feſt, und ſollte auch wirklich Etwas kommen, ſo werden 4
Sie ja doch eine kleine Beſchwöͤrungsformel auswendig *
So lange es Tag bleiht, unterrichten Sie
ſollte uns
die Nacht überraſchen, und wir zur ſchauerlichen Geiſter-
ſtunde noch nicht in den Hafen der Ruhe geſegelt ſeyn, 0
lernt haben?
mich auf dem Wege, was ich dabei thun kann;
koͤnnen wir doch getroſt erwarten, was da kommen mag.
„Scherzen Sie nur. Geiſter furchte ich nicht, aber —“
„Ey, was mit Ihrem Aber.
Unter ſchwermüthigen Geſprächen —
Schon ſank die Sonne herab, ö
Allein Vergeblich.
Alle Retour-Chaiſen waren bereits laͤngſt abgefahren, und
einen eigenen Wagen zu nehmen, war fuͤr Leute, die auf
r. Blicken Sie auf! Dort
ſchwebt auch ſchon der Mond — zwar noch blaß und waͤ⸗3